piwik no script img

Versuch, Skinheads aufzuwecken

Schaut doch mal ehrlich in den Spiegel!

Ihr haltet euch vermutlich für mutige Helden: stramm militärisch gekleidet, mit festen Springerstiefeln und mit Baseballschlägern oder anderen primitiven Waffen ausgerüstet wie ihr daherkommt. Aber seht doch einmal genauer hin! Obdachlose, schlaftrunkene Zelttouristen, als Ausländer erkennbare Einzelgänger, die am Rand der Mehrheitsgesellschaft leben – auf sie schlagt ihr zu Dreien oder noch mehreren ein, tretet noch, wenn sie am Boden liegen weiter auf sie ein. Soll das ein Beweis männlicher Tapferkeit sein?

Beobachter jedenfalls, die genauer hinsehen, erkennen, dass ihr in Wirklichkeit erbärmliche Feiglinge seid, die nur in der Überzahl gewalttätig werden. Vielleicht halten einige von euch die Nazis für männliche Vorbilder? Ihr wisst offenbar nicht, dass die meisten führenden Nazis, als der von ihnen angezettelte Krieg – wie voraussehbar war – total verloren gegangen war, sich feige das Leben genommen haben oder nach Südamerika geflohen sind. Zurück blieben die Mitläufer und einige Gegner, denen die Aufgabe zufiel, die Trümmer mühevoll wieder zu beseitigen, die jene „Helden“ verursacht hatten.

Und die „Feinde“, auf die Nazis losgingen? Das waren doch zunächst auch nur die Hilflosen, Schwachen, sozial Isolierten: die seelisch Kranken in den Heimen, die Minderheiten der Juden und Zigeuner, der Ernsten Bibelforscher, der Homosexuellen und der aufrechten patriotischen Gegner des Regimes, die ihr Land vor dem sicheren Untergang bewahren wollten! Ihr solltet die wirklichen Helden des Widerstands zu Vorbildern wählen, nicht die erbärmlich feigen Naziführer.

Ihr seid „stolz Deutsche zu sein“? Wie ist das möglich, wenn ihr diejenigen zum Vorbild nehmt, deretwegen wir uns Alte noch immer schämen müssen und zu deren verbrecherischen Taten ihr neue hinzufügt?

Wacht endlich auf und seht euer wahres Gesicht, dann werdet ihr – bevor es zu spät ist – vielleicht doch noch umkehren!

IRING FETSCHER , Frankfurt

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen