piwik no script img

Und raus bist du

Bindungslos: Jan Jochymski und seine Gruppe „Theaterschafft“ mit ihrem neuen Stück „Köder“ in den Sophiensälen

Sechs Personen suchen eine Umkleidekabine. Es gibt aber nur fünf. Mira ist diejenige, die draußen bleibt, aber sie ändert schnell die Regeln, setzt ihren schönen, jungen Körper ein, und sofort gibt es wieder andere Verlierer. Beim Sex verlieren hier immer die Männer. Damit ist „Köder“ seiner Zeit voraus. In Jan Jochymskis neue Produktion bringen drei Männer und drei Frauen ihr modernes, hilfloses Dasein mit, doch anstatt es abzustreifen, spielen sie lieber damit. Spiele wie die „Reise nach Jerusalem“, „Einmal im Leben“ oder „Topfschlagen mit Todesfolge“.

Jan Jochymski bewegt sich als Regisseur gerne auf ungefestigtem Terrain. Ein Theatertext, sofern überhaupt vorhanden, ist für ihn nur ein loser Rahmen, eine Verabredung zwischen ihm und den Schauspielern über Inhalt und Ziel der theatralischen Situation. Räumliche, optische und akustische Darstellung entsteht dann als gemeinsame Leistung des Ensembles.

Jochymski, Jahrgang 1968, studierte Anfang der Neunzigerjahre Schauspiel in Leipzig, arbeitete als freier Regisseur in Jena, Dresden und Leipzig. Schon 1992 gründete er gemeinsam mit dem Dramaturgen Stefan Ebeling die Gruppe „Theaterschafft“ als sensibles und flexibles Instrument zur ganz frischen Darstellung aktueller Befindlichkeiten auf der Bühne. In Berlin machte „Theaterschafft“ mit den „Stellungskriegen“ und der „Operation Zucker“ im Theater unterm Dach Furore. Die Inszenierungen kreisen immer wieder um die modernen, bindungslosen, traurigen Seelensucher, die im Vakuum totaler Freiheit schweben. Die Improvisation birgt für die Theaterarbeit aber nicht nur die Möglichkeit der freien Gestaltung, sondern auch die Gefahr des unfertigen Anscheins.

In „Köder“ ist das Unverbindliche und das Spielerische der Figuren zum Prinzip der Inszenierung geworden. Jochymski und seine Truppe bieten uns ein unterhaltsames Puzzle von netter Beliebigkeit: ein bisschen „Tür auf, Tür zu“-Dramaturgie, ein paar Illusionstricks, viel Pantomime voll schöner, herber Selbstironie, ein skurriles, lautmalerisch unterlegtes Wasserballett im blau leuchtenden, trockenem Geviert – lauter Improvisationsübungen für Schauspieler, die einen losen Zusammenhalt bilden. Du, mach mal die attraktive und bindungsunfähige Karrierefrau, und du, sei mal der freundliche Softie, der plötzlich ausrastet, und du bist jetzt der praktische Normalo, der Klempner aus Sachsen.

Nur selten verschärft sich der Ton, nur sporadisch blitzen Unentrinnbarkeiten auf wie Wetterleuchten in schwül-feuchter Luft. Wenn „Köder“ sich um ein Schwimmabzeichen beworben hätte, wäre locker das Seepferdchen drin, vielleicht auch der Freischwimmer, mehr aber nicht. REGINE BRUCKMANN

Vom 29. – 31.8, 1. – 5.9 , 21 Uhr, Festsaal der Sophiensäle, Sophienstraße 18, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen