: Zittrige Fans beim Sit-in
Gut, dass wir drüber gesprochen haben: Der Enttäuschung der Anhänger folgt nach dem 1:6 der Frankfurter Eintracht bei den Amateuren des VfB Stuttgart nach Sitzstreik alsbald der Schulterschluss
aus Stuttgart von THILO KNOTT
Emil Bliard hatte ein Problem: Er konnte seinem Job nicht nachgehen, für den er bezahlt wird. Und das ärgerte Bliard. Darin unterschied er sich von den Profis der Frankfurter Eintracht an diesem Tag der ersten Runde im DFB-Pokal ganz erheblich. Bliard fährt den Mannschaftsbus des Bundesligisten. Normalerweise. Doch nach dem 1:6-Debakel bei den Amateuren des VfB Stuttgart aus der Regionalliga war der Weg versperrt. Also machte sich Bliard daran, Auswege zu finden aus der vertrackten Situation. Ein weiterer Unterschied übrigens zu seinen Fahrgästen in den 90 Minuten zuvor. Bliard inspizierte die Baustelle rund ums Daimler-Stadion, hatte eine Idee, zum Erfolg zu kommen – noch ein Unterschied. Doch alles Engagement war vergebens.
Es gab nur einen Weg, der vom Ort der Niederlage führte. Und diesen versperrten die Eintracht-Fans. Die nämlich verstanden schlicht ihre Welt nicht mehr. Eine Schlappe bei einem Regionalligisten. Ein Dutzend Tore kassiert von Angelo Vaccaro (17.), Jörn Schmiedel (32.), Robert Vujevic (50. und 68.) sowie Ioannis Amanatidis (81. und 90.). Von Spielern also, deren Namen Rainer Adrion geläufig sind, Trainer der Stuttgarter. Aber sonst? Vorgeführt von Spielern, die zuletzt noch in der A-Jugend kickten. Überdies war das Ergebnis reichlich untertrieben.
Soll sich der Frankfurter Fan jetzt einfach in den ICE setzen, nach Hause fahren und die Demütigung verdrängen? Muss sich der Anhänger alles, wirklich alles bieten lassen? 300 Frankfurter meinten: Nein. Und begaben sich in den ersten Sitzstreik der noch jungen Saison. „Wir sind Frankfurter und ihr nicht!“, brüllten sie dem startbereiten Mannschaftsbus entgegen, in dem sich die – naja – Profis verschanzten. Die Fans riefen: „Wir wolln die Flaschen sehn!“ Doch Verantwortung übernahm – im Unterschied zu den „Flaschen“ – Felix Magath. Der Trainer brachte den Mut auf, sich der leidenschaftlichen Kundschaft zu stellen, und bat in einer Art öffentlichen Fankonferenz um Verzeihung: „Wir können uns bei euch nur entschuldigen“, sagte er der Menge und bat: „Gebt uns noch mal eine Chance.“
Das beruhigte die sitzstreikenden Zuhörer einigermaßen, zufrieden aber waren sie damit nicht. Einer flehte: „Wir möchten doch nur nicht mehr zittern, wir wollen nur eine ruhige Saison haben.“ Die Fans forderten Erklärungen. Aber wie sollte irgendeiner erklären, was da gegen Stuttgarter Amateure vorgefallen war. In einem möglichst deeskalierenden Ton noch dazu?
Magath meldete kurz nach dem Aus erhebliche Zweifel an der Güte seiner Mannschaft an. „Es ist das Markenzeichen eines guten Profis, sich gegen die drohende Niederlage zu stemmen“, stellte er fest und erinnerte an deren Arbeitsauftrag: „So eine Vorstellung kann ich den Zuschauern und dem Verein nicht bieten – die Spieler haben Verträge unterschrieben, das Maximale zu leisten.“ Das ist wohl die Wahrheit über die Verfassung des Teams. Doch wie beruhige ich meine Fans? Magath schwelgte in Erinnerung an den vermiedenen Abstieg: „Wir haben in der Rückrunde der vergangenen Saison gut gespielt“, brachte er den Fans ins Gedächtnis, „wir biegen das wieder hin.“
Mittlerweile hatte Magath auch einige Spieler an seiner Seite. Alexander Schur versprach den Fans, deren Unkosten für den wenig erbaulichen Ausflug nach Stuttgart zu übernehmen. Torschütze Jan-Aage Fjörtoft gestand, die Mannschaft habe „scheiße gespielt“, weshalb er den Unmut der Fans verstehen könne. Horst Heldt bleute noch einmal ein: „Ich muss mich für die Leistung der Mannschaft entschuldigen.“
Das war den Eintracht-Fans denn auch Reue genug. Irgendwie hatten sich dann alle wieder ungemein lieb. Ende der Sitzblockade: Die Spieler schüttelten Hände, die Fans herzten ihre Lieblinge. Gut, dass wir darüber geredet haben. Nur: Der nächste Bundesliga-Spieltag kommt bestimmt. Auf Wiedersehen demnächst im Waldstadion: zu einer weiteren psychotherapeutischen Sitzung mit den Fans.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen