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Vergängliches Netz

Pausenloser Gesprächsfluss: Die „Filiale für Erinnerung auf Zeit“ in den Kammerspielen  ■ Von Petra Schellen

... und dann sitzt man da, auf ein beige-flusendes Sofa gelümmelt, lauscht träge den Reden derer, die sich da vorn über irgendwas unterhalten... und ist kein bisschen von jener Fernsehgucker-Mentalität weggekommen, die man seinen Altvorderen so oft zum Vorwurf machte. Alles wie gehabt also, nur diesmal in den Bühnenraum der Kammerspiele verlagert? „Gemütlich soll es nicht sein; die Leute sollen einfach Orte haben, an denen sie sich konzentrieren können“, beteuert Penelope Wehrli, Raumgestalterin der „Filiale für Erinnerung auf Zeit“, die von Samstag bis Mittwoch in den Kammerspielen zu erleben sein wird.

Interaktiv soll vielmehr die Mischung aus Talkshow und Installation sein, die Hannah Hurzig und Anselm Franke entworfen haben: In sämtlichen Räumen der Kammerspiele werden einander Zeitzeugen, Wissenschaftler und Künstler im Dialog gegenüber sitzen oder monologisch Vergangenes reflektieren: Christoph Schlingensief wird sich Kindheitserinnerungen hingeben, Viola Roggenkamp den Ex-Wehrmachts-Ausstellungsleiter Hannes Heer interviewen; für Gäste sind noch Gesprächstermine frei. Über Medienarchive wollen Thomas Kaulmann und Christoph Keller diskutieren; Emigration aus der Bukowina in die DDR und nach Polen wird das Thema von Rosalia Kozakiewicz, Edith Schütrumpf und Alexander von Plato sein. Jochen Gerz wird sich mit Geschichte in der Kunst befassen – kurz: etliche Facetten des Erinnerns werden im Kammerspiel-Gebäude betrachtet, das um die Jahrhundertwende jüdisches Logenheim war und 1937 den Jüdischen Kulturbund beherbergte.

Die wechselhafte Geschichte des Hauses ist auch der Punkt, an dem Projekt-Intitiator Ulrich Waller ansetzte: „Wir wollen das Haus als kulturellen Treffpunkt wieder beleben, ohne pausenlos und explizit auf die jüdische Vergangenheit des Gebäudes hinzuweisen.“ Und ein wenig – auch dies nicht explizit – soll der Installation dabei jenes Schicksal angedeihen, das die Nazis für die jüdische Kultur vorgesehen hatten: zu verschwinden und allenfalls als verblassende Erinnerung im Gedächtnis zu bleiben.

Bizarr ist dabei die Tatsache, dass für diese fünf Tage ein differenziertes Netz der Erinnerung gesponnen wird, feine Fäden zwischen Medien, Kunst und Wissenschaft gewoben, Berührungspunkte gesucht werden, die ohne die Begegnung dieser Menschen nicht denkbar gewesen wären. Nur dass die durch Austausch gewonnenen Informationen eben später – mangels Dokumentation – nicht mehr im Wortlaut zugänglich sein werden: Acht Gespräche sollen jeweils parallel hinter verschlossenen Türen stattfinden, Interviews, Beichten und Bekenntnisse Prominenter, an denen man sich teils – nach Anmeldung – beteiligen kann – stattfinden, gnadenlos von lauernden Kameras aufgezeichnet.

Die BesucherInnen allerdings werden sich mit den (live übertragenen) diskutierenden Köpfen auf der Leinwand des Bühnenraums begnügen müssen, während sie sich per Kopfhörer in die Gespräche einklinken. Dabei ist das Haus, in dem die Gespräche einander überlappen und wo man mehr verpasst als mitbekommt, nicht nur „Austragungsort“ der Erinnerungsarbeit, sondern auch Symbol für den Erinnerungsvorgang: Im Keller werden Fotowände, die nur durch Erzählen lebendig werden, installiert, der „Speicher“.

Das Erdgeschoss beleben – als Urgrund jeglichen Erfahrens und Erinnerns – Autobiographien, während die erste und zweite Etage Dialoge und Interviews beherbergen. „Erinnern und Vergessen“ haben die Organisatoren diese Bereiche genannt, die ausschließlich vom gesprochen Wort, der oral history leben und damit der Zeit eine neue Dimension verleihen: Exakt in dem Moment, in dem der Gedanke entsteht, ist er auch schon vergangen – nicht anders als im Alltag eben. Oder soll durch Derartiges an die oral history als Ursprung jeden literarischen Schaffens, die Weitergabe kollektiver Erinnerung durch mündlich vorgetragene Epen und Erzählungen erinnert werden? Möglich. Denn die einzige Chance auf Reproduktion wird – abgesehen von der endlichen Zahl an vorprogrammierten Internet-Downloads unter www.filialefuererinnerung.de – die Erinnerung und das Weitererzählen des Gehörten sein. Oder wird hier bloß das Internet zuende gedacht, in dem etliche sites für begrenzte Zeit verfügbar sind?

Fragen, die auch Julius Deutschbauers Bibliothek der ungelesenen Bücher im Dachgeschoss nicht beantwortet: Bücher, die Prominente immer schon mal lesen wollten, werden dort aufgestellt – parallel dazu kann man auf Bändern die Begründung für den Lesewunsch hören. Oral history in ihrer gesteigerten Form also: Reden über Dinge, die man nur vom Hörensagen kennt und die auf dem besten Wege sind, virtuellen Status zu erlangen. Denn wie real ist letztlich ein niemals angerührtes Buch?

Filiale für Erinnerung auf Zeit, 2. bis 6. September, jeweils 18 bis 22 Uhr, Kammerspiele. Interview-Anmeldungen ab sofort bei den Kammerspielen unter Tel. 040 / 44 19 69 0.

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