unterm strich:
Sie gestehen einfach alles: den Zuschnitt ihrer Unterhose, gesundheitliche Unregelmäßigkeiten, wie viel Körperfett zu viel sie mit sich herumtragen und ihre rechtsextremen Einstellungen. Immer mehr französische Schriftsteller, so berichtet dpa aus Frankreich, offenbaren ihr Privatleben und veröffentlichen ihr intimes Tagebuch.
Le Figaro nennt es die „Die Manie der Tagebücher“, L'Evénement du jeudi spricht vom „Narzissmus, der Triumphe feiert“. Wie der gebildete Mensch weiß, hat das Führen von Tagebüchern in Frankreich eine lange Tradition. Nach Michel Eyquem de Montaigne (1533 – 1592) und Jean-Jacques Rousseau (1712 – 1778) heißen die intimen Tagebuchschreiber, die heute in Mode sind, Michel Polac, Jean Chalon, Bernard Delvaille, Marc-Edouard Nabe, Renaud Camus und Philippe Sollers. Sie legen sich auf die Couch und kehren das Innerste nach außen. In „C'est arrive hier: journal 1999“ beschwert sich die französische Journalistin und Schriftstellerin Françoise Giroud (die einstmals den Begriff der Nouvelle Vague erfand) über ihren alternden Körper, während Michel Polac in „Journal: pages choisies (1980 – 1998)“ Bilanz über sein misslungenes Leben zieht und sich in Schilderungen pädophiler Erfahrungen ergeht.
Das neue Interesse am Privatleben der Literaten hat denn auch schon den bekannten Verlag Seuil dazu bewegt, Anfang diesen Jahres eine neue Reihe „Tagebücher“ ins Leben zu rufen, und France Loisirs verleiht seit 1996 den Preis „Intime Aufzeichnungen“. Selbstverständlich warnen die Fachleute (fürs Tagebuchschreiben?) bereits vor der Enthüllungsschriftstellerei: „Die Literatur verblasst ganz vor diesem Alltagsstriptease.“ Bei uns ist das ganz anders, da ist die neue Literatur einfach Alltagsstriptease.
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