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Along comes Spaß

Mit dem Essen spielt man nicht beziehungsweise nur manchmal: Die Bloodhound Gang setzt der desolaten öffentlichen Moral das traditionelle Regelwerk des Kindergeburtstages entgegen

von KOLJA MENSING

Es ist schwierig, für abweichendes Verhalten noch Anerkennung zu erlangen. Der weiße Rapper Eminem zum Beispiel sagt viele böse Dinge über Sex und Drogen im Allgemeinen, vor Gericht landete er allerdings erst, als er seine Mutter als drogensüchtige Hure bezeichnete und in einem anderen Song die Ermordung seiner Ehefrau beschrieb. Die beiden klagten auf Schadenersatz.

So viel Glück hat nicht jeder. Auf der letzten CD der Bloodhound Gang – „Hooray for Boobies“ – hatte Sänger Jimmy Pop Ali ganz ohne gerichtliches Nachspiel ein anzügliches Telefongespräch mit seiner Mutter untergebracht. Dafür durfte sich die amerikanische Band aber über den schönen Erfolg ihres Bassmanns Evil Jared freuen, der es vor einigen Wochen bei einem Konzert in Moskau geschafft hatte, sich nach einem Striptease verhaften zu lassen.

So erweist sich das postsozialistische Russland neben der amerikanischen Kleinfamilie offenbar als letzte Instanz einer öffentlichen Moral. Andernorts ist sie längst durch kalkulierte Grenzüberschritte aufgelöst worden, unter anderem um Distinktionsgewinne zu ermöglichen. „If you find the content of these lyrics offensive, you’re not cool“, stand 1996 auf dem Booklet von „One Fierce Beer Coaster“, der zweiten CD der Bloodhound Gang.

Tatsächlich ist es so, dass sich außer der russischen Exekutive niemand an der Bloodhound Gang stört. Die Musik – ein Cross-over aus Punk, HipHop und 80er-Jahre-Pop – ist sowieso harmlos, und auch über Schwule darf man heute natürlich gerne Witze machen. Was die Bloodhound Gang in den Medien präsent hält, sind eher die Anekdoten aus den frühen und wilden Konzerten, in denen sich der Bassist schon mal auf offener Bühne erbrochen hat.

Das ist ein Regelverstoß, der auch in Zeiten postmoderner Moral noch als solcher zu erkennen ist. Das tut man nicht, genauso wenig wie man mit dem Essen spielt. Spaß macht es trotzdem bzw. gerade deswegen. Darum freut sich das Publikum in der Berliner „Arena“ auch sehr, als gleich zu Beginn des Konzerts Sänger Ali Pop einen jungen Mann auf die Bühne holt, der gegen 100 Dollar Belohnung eine extra dafür mitgebrachte Kloschüssel voller Krautsalat aufessen darf. Das ist lustig, und die nächste Stunde sitzt er dann auch brav auf dem Schlagzeugpodest und isst, während die Bloodhound Gang ihren Kindergeburtstag weiterfeiert: „20 Dollar für den, der mich zehn Sekunden lang auf die Lippen küsst“, sagt Ali Pop. Auch dafür findet sich ein Freiwilliger.

Das Publikum, das zwischen 20 und 30 ist, seine Streetwear im Einkaufszentrum um die Ecke kauft und auch gegen Dauerwellen oder ausrasierte Nackenpartien nichts einzuwenden hat, hat seinen Spaß. Es stört sich gar nicht daran, dass die Band zwischen diesen kleinen Showeinlagen ihre Hits eher unlustig herunterreißen: Man hat ja zu Hause einen Fernseher.

Die Bloodhound Gang klingt wie die frühen Beastie Boys, nur schlechter, und was sie auf die Bühne bringen, ist sozusagen Punkrock zum Mitmachen. Nur der ganz dicke Junge, der sich bis auf die durchgeschwitzte Unterhose entkleidet, wird von den Roadies mit einem überdimensionalen Kescher von der Bühne geholt, genau wie der Krautsalat-Kandidat, nachdem dieser in einem unbeobachteten Moment dem Sänger den Rest der Schüssel über den Kopf gekippt hat.

In letzter Instanz entscheidet dann eben doch das traditionelle Regelwerk des Kindergeburtstages: Wer zu weit geht, darf nicht mitfeiern. Erst ist einem das vielleicht peinlich, aber zuletzt wird man doch erkennen, dass es nichts Ruhmvolleres gibt, als von so einer Feier ausgeschlossen zu werden. Außer vielleicht, in Moskau verhaft oder von seiner Mutter verklagt zu werden.

Die Bloodhound Gang spielt auf den Hard Pop Days in Halle (1. 9.), Mannheim (2. 9.), Koblenz (3. 9.)

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