piwik no script img

zwischen den rillenTwo Step mit Craig David und MJ Cole

Feuer in Designertasche

Es heißt, die Redakteure beim NME und den für Trends und Lifestyle zuständigen britischen Blättern hätten sich erst mal gegenseitig in Ohren und Waden gezwickt, um wirklich zu glauben, was ihnen da widerfuhr. Hatten sie doch nach vielen trüben Monaten mal wieder einen richtigen frischen und jungen Star gefunden, einen „ersten genuinen britischen Popstar des 21. Jahrhunderts“, wie der NME das gewohnt euphorisch formulierte.

Sein Name: Craig David, 19 Jahre alt, aufgewachsen mit Terence Trent D’Arby, den Osmonds und Elton John und weit weg davon, ein handelsüblicher Britpop-Star zu sein. Denn David gibt einem Genre namens Two Step endlich das Gesicht, auf das man außerhalb der Clubs und dort natürlich nicht zuletzt auch bei den Plattenfirmen längst gewartet hat. Gleichzeitig ist er der Mann, der dem britischen R & B nach diversen Auslaufmodellen zu neuer, zarter Blüte verhilft und via Two Step auch produktionstechnisch einem eigenen Zugang im Vergleich zum übermächtigen amerikanischen R & B der Marke Timberland oder Jermaine Dupri. (Ja, ja, immer wieder Amerika, ewiges Trauma und erster Sehnsuchtsort von Pop-Britannien!)

Mit Two Step und seinem rauflustigem Bruder Speed Garage kam nämlich vor einiger Zeit neben einer Menge Sekt und Spaß auch der Gesang zurück in den Club. Vor allem bei den hauptsächlich aus House- und Drum-&-Bass-Partikeln bestehenden Two-Step-Tracks waren es plötzlich die Gesangslinien, um die sich die Sounds gruppierten, und nicht umgekehrt: Erstmals seit langem wurde beim Tanzen auch wieder richtig mitgesungen.

Zusammen mit den ersten, aber charismafreien Two-Step-Stars ever, mit Artful Dodger, hatte Craig David dann mit dem weniger tanzbaren denn griffigen „Rewind“ seinen ersten Hit, der kurz vor Weihnachten des vergangenen Jahres in den Charts nur an Cliff „Dies ist eben auch England“ Richard nicht vorbeikam. Es folgte mit „Fill Me In“ Davids erster Nr.-1-Hit, und ein Star war geboren – geboren, um es zu tun, wie Craig Davids Debütalbum bescheiden heißt.

Auf dem Cover des Albums sieht man den 19-Jährigen im weißen T-Shirt und blauer Wollmütze, mit geschlossenen Augen und einem Kopfhörer auf den Ohren vor einem silberblauem Hintergund stehend: Musik und nichts als Musik, Gefühl und nichts als Gefühl. Zurückhaltend und stilvoll produziert von Artful Dodgers Mark Hill, ist „Born To Do It“ ordentliche R-&-B-Singer/Songwriter-Schule. Was die beiden Hits schon versprachen – Eleganz, Schmusewolle, die richtigen Beats an der richtigen Stelle –, hält Craig David nun mit seiner smoothy Stimme fast durchgehend auf Albumlänge: Liebeslieder, Nachtmusik, urbane Popmusik, weniger für eine Nacht im Club als vielmehr für eine zu zweit auf dem Sofa – doch das muss sich ja nicht immer ausschließen.

Das Two-Step-Gegenmodell zu Craig David ist MJ Cole. Weniger fotogen und sexy als David, ist MJ Cole der Zwei-Schritt-Mann im Hintergrund: Produzent, Mixer, Beatschneider, aber auch einer der ersten, der Two Step in England auf den Weg gebracht hat. In jungen Jahren fanatischer Drum-&-Bass-Addict, hatte Coleman irgendwann die Schnauze voll von den Tunnelsounds und begann, sich dem sozusagen realen Musikleben zuzuwenden: Songs statt Tracks, Livemusik mit Gesang, deren Grundgerüst aber immer noch programmierte Drums und Beats waren.

Sein Album „Sincere“ enthält das, was man gern auch state of the art nennt: Sängerinnen und MCs statt Vocalsamples, dazu ein Haufen live eingespielter Streicher, Bläser und Keyboards vor dem Hintergrund aufreizend pumpender House- und Drum-&-Bass-Beats. „Sincere“ klingt sehr sauber und ausgeklügelt, wenn man es genau nimmt, hat dann aber doch so viel Leben, dass es für ein Feuerchen in der Designertasche und mindestens drei energisch-herzzerreißende Hurras reicht.

Vielleicht reicht es am Ende sogar hierzulande für die Durchsetzung eines Sounds, der bislang nur in ein paar Clubnischen und auf großen Zeitungsseiten stattfand.

GERRIT BARTELS

Craig David: „Born To Do It“ (Wildstar Records/Edel); MJ Cole: „Sincere“ (Talkin’ Loud/Edel)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen