: Geheimnisvoll ins Leere
Wider den Multikulturalismus des guten Geschmacks: Der Pin-up-Boy Enrique Iglesias machte in der Columbiahalle eine gute Figur als Latin Lover zum Angrabbeln. Aber kann er auch wirklich singen?
von DANIEL BAX
Er sieht unverschämt gut aus. Aber kann er auch singen? Bei Enrique Iglesias ist man sich da nicht so sicher. Im Internet soll die Aufnahme eines Playback-Auftritts kursieren, die gar nicht so volltönend klingt. Andererseits: Wer braucht schon eine Schmachtstimme, wenn er solche Schmachtblicke auflegen kann?
Enrique Iglesias sieht aus, als wäre er nur dazu geboren worden, einmal ein Amica-Cover zu zieren. Nur ist ihm das nicht genug. Bei seinem Auftritt in der Berliner Columbiahalle bemühte der 26-jährige Star des Latin Pop, der mit 20 Millionen verkauften Tonträgern in Spanien und Lateinamerika längst in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, ein ganzes Bataillon, um seine musikalische Potenz zu beweisen: Drei Gitarristen, zwei Keyboarder, eine Percussionistin und, hinter einer Plexiglaswand, ein Schlagzeuger standen da zum Angriff, während grüne Laserstrahlen die Halle zerschnitten, eine Scheinwerferbatterie das Publikum blendete und ein Quartett im Hintergrund dem Star stimmlich zur Seite sprang. Imposant.
Dermaßen verstärkt, spulte Iglesias neben seinen eigenen Hits auch Bowies „Let’s Dance“ routiniert ab, einen Schlüsselsong der 80er, was nahtlos passte, sind doch seine eigenen Stücke, mit Schweinegitarren und Keyboardkitsch, ohnehin nahe am glattem Plastikpop jener Dekade gebaut, an der Art von Musik jedenfalls, die früher die Miami-Vice-Serien begleitete. Während aber die Backgroundcrew stilecht aussah wie einem Tanzfilm der Marke „Flashdance“ oder „Footloose“ entsprungen, der eine in weißem Muskelshirt, die andere mit angeschrägtem Aerobic-Oberteil, gab sich Enrique Iglesias dezent in sportlichem Schwarz und damit modisch auch eleganter als seine überwiegend weiblichen Fans, die sich zur Feier des Tages ihre Dauerwellen frisch gemacht hatten. Neben einigen Südamerikanern der Stadt zog Iglesias’ Auftritt vor allem ein latinophiles Publikum an, dem der Buena Vista Social Club schon zu gediegen ist. Deswegen tritt Enrique Iglesias natürlich nicht im Haus der Kulturen der Welt auf, und auch Radio Multikulti ist sich zu fein, sein Konzert zu präsentieren. Gegen diesen Multikulturalismus des guten Geschmacks ist Iglesias selbst Argument genug: er steht schlicht für die integrative Kraft des Mainstreams.
Dabei macht er eine gute Figur, auch wenn er sich für ein Sexsymbol seltsam unbeteiligt gibt und lieber geheimnisvoll ins Leere starrt als Kontakt mit dem Saal aufzunehmen. Doch niemand stört sich daran, dass er mit seinen einstudierten Bewegungen wenig Charisma ausstrahlt und auch nach einer Stunde noch keine Schweißflecken sichtbar werden. Es ist schließlich gerade die Aura perfekter Künstlichkeit, auf der die Anziehungskraft des Pin-up-Boys beruht: Das ist der Stoff, aus dem hispanische Fotoroman-Träume gestrickt sind. Und nicht nur die: Als Iglesias eine blonde Berlinerin auf die Bühne bittet, um sie zu umschmachten, nützt diese die innige Umarmung, ihm unters T-Shirt zu grabbeln.
Nach dem Konzert machen die Posterverkäufer ein erwartungsgemäß gutes Geschäft, auch die Enrique-Schlüsselanhänger gehen gut, und ein Pulk junger Mädchen harrt noch lange an der Absperrung vor dem Bandbus aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen