: Ernsthafte Morddrohung
Kroatiens Präsident Stipe Mesić muss um sein Leben fürchten, weil er den Mord an einem Zeugen und die Beteiligung hoher Ex-Funktionäre an Kriegsverbrechen aufklären will
SPLIT taz ■ Drohungen seiner politischen Gegner ist der kroatische Präsident Stipe Mesić gewohnt. Die Faxe, die in den letzten Tagen sein Büro erreichten, kündigen jedoch erstmals offen einen Anschlag auf sein Leben an. Den Hintergrund dafür bildet der Konflikt um die Verantwortung für den Mord an einem aussagewilligen Zeugen für kroatische Kriegsverbrechen. Dieser Zeuge, Milan Levar, ein ehemaliger Soldat der kroatischen Armee, war am Montag vergangener Woche in Gospić in der ehemals serbisch dominierten Krajina einem Bombenanschlag zum Opfer gefallen. Er hatte vor dem Tribunal in Den Haag über Kriegsverbrechen an 120 Serben im besagten Gospić im Jahre 1991 aussagen wollen. Gegenstand des offenen Streites ist zum anderen die Veröffentlichung eines Berichts der kroatischen Polizei über das von kroatischen Extremisten an Muslimen verübte Massaker von Ahmici in Zentralbosnien im Jahre 1993.
Die innenpolitische Auseinandersetzung in Kroatien ist mit beiden Ereignissen wieder schärfer geworden. Denn in beiden Fällen steht ein Teil der Führung der früheren Regierungspartei HDZ (Kroatische Demokratische Gemeinschaft) und des kroatischen Geheimdienstes SIS im Verdacht, von den Verbrechen nicht nur gewusst, sondern auch noch Spuren verwischt zu haben. Milan Levar hatte hohe Offiziere der kroatischen Armee und des Geheimdienstes SIS beschuldigt, an den Kriegsverbrechen in der nahe der Serbenhochburg Knin gelegenen Stadt Gospić beteiligt gewesen zu sein.
Als vor Monaten schon einmal zwei Anschläge auf den von Extremisten als „Verräter“ gebrandmarkten Levar unternommen wurden, hatte dieser bei der örtlichen Polizei um Personenschutz gebeten. Ein diese Bitte unterstützender Brief des Haager Tribunals wurde nach Auskunft der örtlichen Polizei im April dieses Jahres angeblich verlegt. Deshalb hatte Präsident Mesić den örtlichen Polizeichef zum Rücktritt aufgefordert.
Die im Auftrag der im Januar dieses Jahres gewählten sozialdemokratischen Regierung und des Innenministers Sime Lucin durchgeführte Untersuchung über das Massaker von Ahmici brachte zudem ans Licht, daß die Aktion der Spezialeinheit „Joker“ damals von Zagreb aus gesteuert wurde. Doch dabei allein blieb es nicht: Später wurden Dokumente gefälscht, um den Verdacht auf den örtlichen Kommandeur der kroatisch-bosnischen Armee, Tihomir Blaskić, zu lenken, der aufgrund dieser Dokumente im Frühjahr dieses Jahres vom Gerichtshof in Den Haag zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Inzwischen sind die Namen der wirklich Verantwortlichen den damit befassten Behörden bekannt. Unter ihnen befinden sich hohe HDZ-Funktionäre sowie die als Kriegsverbrecher bereits angeklagten Dario Kordić und Mladen Naletilić, genannt Tuta. Kein Wunder, dass nun selbst dem Präsidenten gedroht wird: Die kroatische Regierung und Präsident Stipe Mesić treten für die rückhaltlose Aufklärung der kroatischen Kriegsverbrechen in den Jahren 1991-95 ein.
ERICH RATHFELDER
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