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Absturzursache ungeklärt

Drei Flugzeugabstürze, deren Ursache ungeklärt ist. Die US-Literaturwissenschaftlerin Elaine Scarry vermutet, dass sie durch elektromagnetische Interferenzen ausgelöst wurden. Sie fordert die Behörden zu weiter gehenden Untersuchungen auf

aus Washington PETER TAUTFEST

Am 17. Juli 1996 stürzte vor Long Island die TWA 800 ins Meer. Alle Passagiere und die gesamte Besatzung kamen um. Am 2. September 1998 stürzte die Swissair 111 vor Neuschottland ab, niemand überlebte. In der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober fiel jählings die EgyptAir 990 vor Long Island ins Meer. Es gab keine Überlebenden. Im August dieses Jahres legte die amerikanische Verkehrssicherheitsbehörde ihre abschließenden Berichte über zwei dieser Abstürze vor – TWA 800 und EgyptAir 990. Den Untergang der Swissair 111 untersucht das entsprechende kanadische Amt, dessen Bericht steht bisher noch aus. Die Arbeiten am TWA-Bericht waren zur längsten und teuersten Ursachenforschung in der Geschichte der Luftfahrt geworden. Sie dauerten vier Jahre und verschlangen rund 35 Millionen Dollar.

Enttäuschend jedoch ist das Ergebnis. Der Absturz musste letztlich als nicht genau geklärt eingestuft werden. Ein Funke oder Kurzschluss aus möglicherweise brüchig gewordenen Stromleitungen habe Benzindämpfe in einem fast leeren Tank entzündet, heißt es vage.

Auch der Absturz der Swissair geht auf das zurück, was in den Berichten als eine „elektrische Katastrophe“ bezeichnet wird.

Im August legte die US-Flugsicherheitsbehörde NTSB den Abschlussbericht über die Ursache des Absturzes der EgyptAir 991 vor. Zu den Ursachen wird abschließend nicht Stellung genommen. Es gibt Differenzen zwischen amerikanischen und ägyptischen Behörden. NTSB schließt einen mechanischen Schaden, Sabotage oder gar einen Abschuss aus, was den Verdacht nahe legt, der Pilot habe die Maschine absichtlich in den Absturz gesteuert. Das wiederum wollen die ägyptischen Behörden nicht akzeptieren.

Alle drei Flüge und ihre Abstürze weisen Gemeinsamkeiten auf. Sie starteten alle in New York und flogen nach Europa. Bei allen Abstürzen ist auch die Ursache letztendlich noch ungeklärt, entweder liegt der Abschlussbericht nicht vor, ist strittig oder unbefriedigend. Bei den Flügen und Abstürzen von TWA 800 und Swissair 111 gehen die Übereinstimmungen noch weiter. Beide starteten jeweils an einem Mittwoch zur gleichen Tageszeit und vom gleichen Flughafen; sie folgten der gleichen Flugroute, hatten zum ungefähr gleichen Zeitpunkt – nämlich 12 bis 14 Minuten nach dem Start – über der gleichen Stelle die gleichen ersten Schwierigkeiten. Nur die Auswirkungen verliefen etwas unterschiedlich, so dass die beiden Maschinen an verschiedenen Stellen abstürzten. In beiden Passagiermaschinen begann das Unglück mit einer Fehlfunktion in der Elektrik, die dann zu Explosionen und den Abstürzen führte.

Die Ursachenforschung hatte zunächst nach groben Kategorien zu unterscheiden: menschliches oder mechanisches Versagen, Sabotage oder Abschuss? Sabotage und Abschuss, auch die Kollision mit nicht näher identifizierbaren Flugkörpern wie zum Beispiel Meteoriten, wurde ausgeschlossen, was menschliches, mechanisches oder elektrisches Versagen nahe legt und natürlich alle Verschwörungstheoretiker unbefriedigt lässt. Doch es gibt noch eine weitere mögliche Ursache, die zwischen all diese Kategorien fällt und nach Auffassung der Harvard-Wissenschaftlerin Elaine Scarry nicht ausreichend untersucht worden ist.

Elaine Scarry, von Hause aus eigentlich Literaturwissenschaftlerin, veröffentlicht in der so eben erschienen Herbstausgabe der renommierten New York Review of Books die erste Folge einer auf zwei Teile angelegten großen Untersuchung aller verfügbaren Quellen und Dokumente. Sie weist auf eine bisher von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene mögliche Ursache für die Abstürze von TWA 800 und Swissair 111 hin. Auch der noch strittige Absturz der EgyptAir 990 könnte möglicherweise auf diesen Auslöser zurückgeführt werden. Scarry verlangt die weitere Untersuchung dieses Verdachtsmoments durch das NTSB. Gemeint sind Elektromagnetische Interferenz (EMI) beziehungsweise sogenannte High Intensity Radiated Fields (HIRF).

Der Verdacht, dass elektromagnetische Impulse die TWA-800-Maschine zum Absturz gebracht haben könnten, ist nicht neu. Er wurde von Elaine Scarry erstmalig im April 1998 ebenfalls in der New York Review of Books geäußert, die in zwei folgenden Ausgaben einen ausführlichen Briefwechsel zwischen der Autorin und Jim Hall, dem Chef der Flugsicherheitsbehörde NTSB, abdruckte.

Hall versprach eine ausführliche Untersuchung möglicher elektromagnetischer Interferenzen und schaltete das Joint Spectrum Center (JSC) ein, ein Forschungslabor von Air Force und Navy in Annapolis, Maryland, sowie die Raumfahrtbehörde Nasa. Zeitungen aus Seattle griffen damals die Geschichte auf – schließlich sitzt der Flugzeughersteller Boeing im Bundesstaat Washington.

Elaine Scarry hält den Verdacht letztlich nicht für ausgeräumt. „Wenn der TWA-Katastrophe nicht die Abstürze von Swissair und EgyptAir gefolgt wären, hätte ich wahrscheinlich meine Arbeiten eingestellt,“ sagte sie, „so aber ließ mich die Beschäftigung mit dem Phänomen elektromagnetischer Interferenzen, auf das ich durch Zufall gestoßen war, nicht mehr los.“

Von der Gefahr elektromagnetischer Impulse weiß jeder Fluggast, der vor Beginn des Starts gebeten wird, sein Handy abzuschalten. Bekannt ist auch, dass man mit einem Magneten und allemal mit elektromagnetischen Impulsen Computerfestplatten zerstören, löschen oder durcheinander bringen kann. Unter dem Kürzel NEMP machte die Gefahr nuklearer elektromagnetischer Impulse zum Ende des Kalten Kriegs von sich reden, als Militärs befürchteten, eine in der Atmosphäre gezündete sowjetische Atombombe könnte die westliche Verteidigung da ausschalten, wo sie auf dem Funktionieren elektrischer und elektronischer Geräte beruht.

„Die kilometerlangen Stromleitungen in Flugzeugen können wie Antennen wirken, die elektrische Impulse aufnehmen,“ erklärt Marty Scholl, ein Washingtoner Elektro- und Software-Ingenieur. „Elektromagnetische Interferenzen können zur Aufheizung der Leitungen führen, aber auch zur Reaktion zwischen Leitungen, die Ströme unterschiedlicher Spannung transportieren“, so Elaine Scarry. „Bei Flugzeugen, deren Steuerung und Bedienung – wie bei der EgyptAir – stark digitalisiert sind, können solche Interferenzen zu Fehlanzeigen, Falschmessungen und falschen Programmreaktionen führen.“

„Jeder weiß, dass man Metallgegenstände nicht in Mikrowellenherde stellt,“ so Marty Scholl, „weil sie sich erhitzen können oder es zu Funkenbildung kommen kann. Ja, wenn man so will, können Flugzeuge in elektromagnetischen Feldern theoretisch wie Kochtöpfe in Mikrowellenherden reagieren.“ Aber, so Scholl einschränkend, „das ist eher eine Metapher und eine theoretische Möglichkeit. Die Strahlungsquelle müsste sehr, sehr stark sein, um den Luftraum, durch den ein Flugzeug fliegt, gleichsam in einen Mikrowellenherd zu verwandeln.“ Das aber ist Elaine Scarrys Punkt.

„Die Flüge von TWA und Swissair haben außer den oben genannten fünf Gemeinsamkeiten nämlich noch drei weitere: Sie flogen in einem schmalen Korridor durch einen ansonsten für militärische Operationen reservierten Luftraum, und das jeweils zu einem Zeitpunkt, da groß angelegte militärische Aktivitäten stattfanden und äußerst starke Sender von U-Booten und P-3-Flugzeugen in der Region besonders aktiv waren.

Dass starke Sender Flugzeuge zum Absturz bringen können, weiß die Air Force seit langem. Ihre Untersuchung aus dem Jahre 1989 – die Forschungsergebnisse wurden fünf Jahre später von der Nasa bestätigt – führten dazu, dass die Air Force ihre Flugzeuge gegen EMI zu wappnen begann. Außerdem experimentieren Air Force und Navy mit „elektronischer Kriegführung“.

„Wir haben EMI als Absturzursache gründlich untersucht,“ erklärte ein Sprecher von NTSB auf Anfrage. Die Ergebnisse sollen noch diese Woche ins Internet gestellt werden. (www.ntsb.gov).

„Es gab unidentifizierte Schiffe im Raum“, erklärt Professorin Scarry, die umfangreiches Datenmaterial aufgrund des Freedom-of-Information-Gesetzes von den Behörden erzwang. Die Literaturwissenschaftlerin befürchtet, dass nicht alle Quellen elektromagnetischer Strahlungen gefunden wurden – sei es wegen mangelnder Koordination der verschiedenen Behörden, sei es aus Gründen der militärischen Geheimhaltung.

Die 54-jährige Elaine Scarry wirkt nicht wie die typische Verschwörungstheoretikerin. Was sie an Material zusammengetragen hat verschlägt einem den Atem. Nicht nur ist sie im Besitz der Bänder mit den Gesprächen zwischen Cockpit und Tower, von Karten der Flugrouten und -korridore sowie der militärischen Sperrgebiete, sondern sie hat auch vollständige Listen der Positionen von Kriegsschiffen und Militärflugzeugen, die sie dem Pentagon abverlangt hat. Dazu kommen noch zahlreiche Ordner mit Fachliteratur über EMI und HIRF.

Auf die Frage, wie sie als Literaturwissenschaftlerin sich derart in Physik, Militärwesen und in die Techniken des investigativen Journalismus eingearbeitet hat, entgegnet sie, dass Journalisten ihre Arbeitsweise am besten verstehen müssten: „Ihr Journalisten müsst euch doch auch heute mit Wirtschafts-, morgen mit Sexskandalen und übermorgen mit Raumfahrt und Gentechnik beschäftigen. Mein Vorteil den meisten Journalisten gegenüber ist, dass mir erstens Harvard reichlich Zeit für meine Nachforschungen gewährte – mein Zeitdruck und meine Abgabetermine bemaßen sich nicht nach Stunden und Tagen, sondern nach Wochen, Monaten und Jahren – und dass ich an der Universität keinen Mangel an hilfreichen Experten hatte.“

Ihre Manuskripte hat sie denn auch dutzendfach gegenlesen lassen – was auch die New York Review of Books bestätigte. „Wenn Sie so wollen, haben Sender etwas mit Kommunikation zu tun, und Kommunikation ist mein Fach“, sagt sie. Eigentlich aber sei sie durch Zufall während eines freien Forschungsaufenthaltes am Stanford „Center for Advanced Studies in Behavioral Science“ gekommen. Mit Antennen habe sie sich im Rahmen ihres Buches über Krieg und Sozialen Kontrakt beschäftigt und sei dabei auf die EMI-Studie der Air Force gestoßen – „und da hatte ich plötzlich die Eingebung, dass es einen Zusammenhang mit dem TWA-Absturz geben könnte“.

Die zweite Lieferung ihres Artikels, der sich vor allem mit dem Absturz der EgyptAir beschäftigen wird, wird in zwei bis drei Wochen im Internet zu lesen sein – wo auch die erste Folge ihrer Untersuchung eingesehen werden kann (www.nybooks.com).

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