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Die Akkorde des Uhrmachers

Die Wucht liegt in der Wiederholung: John Cale liebt den Zustand, in dem die Songs in höhere Mechanik übergehen, als würde das Klavier auf dem Pianisten spielen. Zu mitternächtlicher Stunde arbeitete der Musiker im Berliner Ensemble an seinem Material, ganz ohne Velvet-Underground-Songs

von HARALD FRICKE

Selbst schuld. Um 23 Uhr wird das Berliner Ensemble nicht mehr voll. Es sei denn, zwei, drei DJs wursteln ein bisschen rum, für die Partystunde vor Mitternacht. Aber wer möchte um diese Zeit zu John Cale? Leute wie Herr Innenminister Schily nicht, die haben sich gleich nach der Filmpremiere von Jan Schüttes „Abschied“ wieder in ihr Panzerfahrzeug gesetzt. Trotzdem wollte John Cale noch mal auf die Bühne. Weil er die Musik zu Schüttes Film über Brechts schwedisches Exil komponiert hat. Und weil er nicht bloß Soundtracks, sondern vor allem Songs schreibt, die man sich sehr gut anhören kann, wenn es ganz still ist im Theater, auf den Rängen, in dem blattgoldverzierten Biedermeierpuppentheater am Schiffbauerdamm.

Es sind nicht mehr als dreihundert Zuhörer da und ein Cale. Offenes rosa Hemd, T-Shirt, schwarze Lederhose und kurz geschnittenes, grau flimmerndes Haar. Er war dieses Jahr sogar in der Sonne, sieht entsprechend überbacken und erholt aus. Und er lacht. Das ist alles anders als früher, als er immer streng in Schwarz auftrat, wenig sprach und hart und unbarmherzig auf sein Klavier einprügelte. Überhaupt Sätze mit „und“: Cales Musik – die Sprödigkeit der Sequenzen, Reihungen, Serien –, sie ist gebaut wie die Aufzählungsketten bei Bret Easton Ellis. Die Wucht liegt in der Wiederholung, stets scheint es einen Moment zu geben, in dem die Harmoniefolgen über die Melodie hinaus weitergespielt werden, etwas variiert zwar, aber doch so ruhelos, als wollte Cale einen ganz bestimmten Ton noch mitnehmen. Hat er die Stimmung getroffen, ist er zufrieden und lässt ein Lied wie „Fear is a man’s best friend“ nach dem Höhepunkt mit ein paar Takten am Klavier sanft ausklingen. Damit holt er auch das mucksmäuschenstille Publikum zurück auf die Füße, nachdem es mit ihm etwa bei Zeilen wie „Death strikes again“ aus einem Stück der 92er-LP „Words for the dying“ gelitten hat.

Ohnehin sind Instrumente nur Werkzeuge, und Cale ist kein Star, der seine Eigenwilligkeit auf der Bühne auslebt; eher schon sieht er sich als unaufgeregter Interpret der eigenen Kompositionen. Andere wühlen sich seit Jahrzehnten durch die Lieder, die er mit Lou Reed für Velvet Underground geschrieben hat; er macht es besser und lässt sie einfach weg – wohl auch, weil sich Reed mit den Songrechten ziemlich anstellt. Stattdessen gibt es kurze Storys zu Songs aus den letzten 20 Jahren: Die Nüchternheit, mit der Cale über verklemmte Südstaatler und spanische Terroristen erzählt, passt zu den Liedern, die gerade in ihrer Schmucklosigkeit niemals zu sentimentalen Zeitreisen eines mittlerweile auch schon 58-jährigen verkümmern. Wenn sich Cale erinnert, dann nur an Intensitäten, die kristallartig in den Stücken aufblitzen.

Der Rest ist Arbeit am Material. Ansatzlos schabt er schon zu Beginn auf seiner akustischen Gitarre, so dass eine Seite wegreißt wie bei einem Noiserocker. Dafür entschuldigt er sich beim Publikum, wechselt zum Klavier und geht ein wenig behutsamer mit der Ballade über eine chinesische Prinzessin oder mit dem Andy-Warhol-Memorial „Style it takes“ um. Nicht so viel Zuneigung hat er dagegen zu einem jungen Mann, der ihm mit der Videokamera zu nah auf den Pelz rückt – und zu den Fotografen, die gegen Ende des Sets mitten in die Pause von „Heartbreak Hotel“ hinein mit dem Auslöser klicken. Dann schaut er die Kollegen Kesten und Owsnitzki sehr, sehr missmutig an, die auch prompt ihre Köfferchen packen und verschwinden.

Danach fällt er in seine Coverversion von Elvis zurück, als wäre der Bruch nur eine kurze Absence, eine Unkonzentriertheit gewesen. Mit der Routine von 35 Jahren Liveerfahrung hat das nichts zu tun: Tatsächlich ist Cale ein Musiker, der den Zustand liebt, an dem Songs in höhere Mechanik übergehen, als würde das Klavier auf dem Pianisten spielen. Das hat er bei La Monte Young gelernt, dafür hat er bei Velvet Underground leidenschaftlich auf dem Cello gesägt. Man kann sich Cale auch wie einen Uhrmacher vorstellen, der an den Akkorden schraubt, bis sie wie von selbst schnurren. Nur manchmal gibt er seinen Kommentar dazu, singt Sätze wie „The eyes tell you nothing“ oder als letzte Zugabe „Close Watch“. Ein Liebeslied, „on this heart of mine“. Das hat schließlich jeder.

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