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Sinfonische Riesenschlange

■ Stardirigent Zubin Mehta führte in der Glocke die Wiener Philharmoniker zu einer mitreißenden Brucker-Interpretation

„Diese Sinfonie ist die Schöpfung eines Giganten ... Es war ein vollständiger Sieg des Lichtes über die Finsternis, und wie mit elementarer Gewalt brach der Sturm der Begeisterung aus.“ So könnte auch ich den Bericht über die Aufführung von Bruckners achter Sinfonie beim Musikfest durch die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Zubin Mehta anfangen oder abschließen. Dies schrieb aber schon Hugo Wolf anlässlich der Uraufführung 1892 in Wien, wo die Interpreten natürlich auch die Wiener Philharmoniker waren. Die hundert Jahre haben scheinbar nichts abgeschliffen von den verrückten Dimensionen des österreichischen Komponisten, dessen Werk bis heute voraussetzungs- und folgenlos zu sein scheint.

Von der achten Sinfonie gibt es zwei Fassungen. Die erste von 1887 wurde von dem Dirigenten Hermann Levi als unspielbar abgelehnt. Bruckner schrieb eine zweite Fassung, die 1890 fertig war. Das wirft natürlich eine grundsätzliche Frage auf, ob die letzte Fassung immer die authentische sei. Für den Laien ist das alles nicht hörbar, denn natürlich ist die zweite Fassung nicht weniger Bruckner, und sie ist – wie die Bruckner-Forscher sagen – in einigen Aspekten sogar besser geworden: Zum Beispiel gibt es einen apotheotischen Fortissimoschluss in der ersten Fassung und einen unvergleichlich originelleren Pianoabschluss in der zweiten. Auch ist in der zweiten Fassung das Scherzotrio sehr viel plastischer formuliert.

Gleichwohl bleibt eine „sinfonische Riesenschlange“ von eineinhalb Stunden Spielzeit, die der indische, in München wirkende Dirigent Zubin Mehta jetzt mit einem der besten Orchester der Welt in der Glocke zelebrierte. Es ist zunächst einmal immer wieder ein eigenes Erlebnis, wie „perfekt“ ein solches Orchester ist. Wenn fast zwanzig erste Geigen so gemeinsam ansetzen, als handele es sich um ein einziges Instrument, wenn atemberaubende Legatobögen in den klotzigs-ten Bläserinstrumenten erklingen – das sind alles wunderbare Dinge, die jenseits einer konkreten Interpretation liegen. Und hier erwies sich Zubin Mehta als regelrechter Baumeister.

Er setzte auf organisches Wachstum, auf klare und energische Durchzeichnung, auf eine intensive Spannungsdichte. Es war durchweg aufregend zu hören, wie er die Musik als den Gang einer Gedankenarbeit präsentierte. Immer wiedert schien Mehta die Klänge regelrecht anzuschieben. Schwerfällig die Gesten, hochdramatisch die Entstehungs- und Vergehensprozesse, gut auf Klangcharaktere abgestimmte Artikulationen.

„Deutscher Michel“ hat Bruckner dem leicht trampeligen Scherzo-thema als Namen beigegeben. Im Trio will, so der Komponist „...der Kerl schlafen, und träumerisch findet er sein Liedchen nicht: Endlich klagend kehrt er um“. Die Anekdote, nach der Bruckner eines Abends das Notenblatt mit dem „Michel“-Thema bedeckte, „...damit er sich nicht erkältet...“, sei den LeserInnen hier nicht vorenthalten. Auch nicht die: „Da hab ich einem Mädel zu tief in die Augen geschaut“ – das geheime Programm des langsamen Satzes?

Zubin Mehta hat das alles überragend im Griff, gestaltet subtile Klangfarben, ohne je die Disposition des Riesenwerkes aus dem Auge zu verlieren. Und er zog uns vor allem auch durch die Betonung der Pausen in Bann. Er ist ein Dirigent, dessen Bewegungen nie zum Selbstzweck werden, sondern immer im Dienste des musikalischen Ausdrucks stehen, diesen genau und organisch vorzeichnen, immer den Blickkontakt zu den Musikern suchend. So haben wir – wie Hugo Wolf – zu berichten von der „Schöpfung eines Giganten“ und einem „Sturm der Begeisterung“. Über das peinliche Bild, dass weiterhin nur an den Harfen zwei Frauen sitzen, lasse ich mich diesmal nicht aus. Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Musikfesttermine: 12.9., 20 Uhr, Unser Lieben Frauen Kirche: „Flanders Recorder Quartett“ spielt Bachs „Kunst der Fuge“; 14.9., 20 Uhr, Glocke: „Dallas Symphony Orchestra“ und der Cellist Lynn Harell mit einem Cellokonzert von Antonin Dvorak

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