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Der Sex von Berlin

Ein Jahr Deutscher Bundestag in Berlin: Wenige Politiker sehnen sich nach der Bonner Gemütlichkleit. Wer Karriere machen will, setzt auf den Rutschbahneffekt und mischt sich unter die ruppigen Berliner

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Als sich vor einem Jahr die Bundestagsabgeordneten zu ihrer ersten Sitzung im Reichstagsgebäude trafen, gab sich der Präsident nostalgisch: Der föderale Geist der Bonner Republik, so Wolfgang Thierse, müsse auch in der Hauptstadt weiter durch die Regierungsbänke wehen. Nach dem Umzug dürfe nicht der gefürchtete Mythos des Berliner Zentralismus die Oberhand gewinnen. Und wie zur Beschwörung der Vergangenheit erinnerte Thierse an die Alimente für die „Bundesstadt“: Sieben Milliarden Mark und sechs Ministerien verbleiben nach dem Umzugsgesetz in Bonn.

Heute ist Bonn out und Berlin in. Zu Beginn der zweiten Sitzungsperiode im neuen Plenarsaal haben sich die Koordinaten zwischen den beiden Städten sowie bei den politischen Akteuren zugunsten Berlins verschoben. Berlin-Kritiker, wie der Bundestagsabgeordnete Peter Ramsauer (CSU), einst ausgewiesener Gegner der Berliner Republik, bekennt sein Faible für die Stadt. Und Uta Zapf (SPD), die Bonn noch „gemütlich“ fand, wie sie Info-Radio anvertraute, meint nach einem Jahr Berlin, „die Stadt hat richtig Pep“.

Die Sehnsucht nach Bonn hat sich zur Normalität in Berlin verkehrt. Von den 11.000 Parlamentariern, Beamten und Regierungsmitarbeiter, die 1999 an die Spree übersiedelten, haben sich viele, wie SPD-Sozialexpertin Gudrun Schaich-Walch, eine Wohnung in Prenzlauer Berg, Mitte oder Kreuzberg genommen, „weil dort das Leben ist“, so Schaich-Walch. Im eigens gebauten Regierungsghetto am Moabiter Werder dagegen stehen weiter die Wohnungen leer.

Der Satz von BE-Chef Claus Peymann, „die Stadt hat Sex“ und sei für viele Ex- und Noch-Bonner unverzichtbar für die Karriere, spiegelt sich auch im Berufsverhalten der noch in Bonn tätigen Beamte und Minister. Minister Jürgen Trittin (Grüne, Umwelt) oder Rudopf Scharping (SPD, Verteidigung) spiegeln sich im Blitzlicht der Öffentlichkeit nur an der Spree und nicht am „Ersten Dienstsitz Bonn“. Der Vorsitzende der Bundesbaukommission, Dietmar Kansy (CDU), sieht den „Rutschbahneffekt“ von Bonn nach Berlin „in vollem Gange“. Es sei völlig klar, dass junge Beamte, „die was werden wollen“ nicht in der rheinischen Provinz versauern, sondern sich in Berlin die Meriten verdienen wollen.

Dass zur Normalität der Bundespolitiker nun der Stress der Großstadt mit Demonstrationen, Baustellen oder langen Wegen gehört, kümmert die wenigsten wirklich, so Schlaich-Walch. Eher problematisch sei, dass Politiker und Eingeborene sich noch fremd fühlten und insbesondere der typische Berliner Charme von Zugereisten als Ruppigkeit wahrgenommen werde. Sei’s drum. Ihre Nischen verlassen die Exbonner immer mehr. Während vor einem Jahr das Lokal „Ständige Vertretung“ noch als Auffangbecken für Bonn-Nostalgiker diente, nehmen heute dort die Dialekte ab. Vielmehr mischt man sich unters Volk am Hackeschen Markt oder geht „übern Ku’damm“. Umfrage: OLIVER VOSS, INGRID GEGNER

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