Italiens Blair heißt Francesco Rutelli

Der Bürgermeister von Rom möchte der nächste Regierungschef der Mitte-links-Koalition werden

ROM taz ■ Nein, einen „Premier am Gängelband anderer“ werde er ganz gewiss nicht abgeben, so beschied Roms Bürgermeister Francesco Rutelli vergangene Woche die Journalisten. An Selbstbewusstsein mangelte es dem alerten 44-Jährigen auch diesmal nicht: Rutelli ist von der Mitte-links-Koalition noch gar nicht als Kandidat nominiert, geschweige denn zum Regierungschef gewählt. Doch er findet sich schon mühelos in die selbst gewählte Rolle als kommender Ministerpräsident und beschert Italien so die politische Überraschung des Spätsommers.

Eigentlich hat Rutelli gleich zwei nur mühsam zu überwindende Hindernisse auf dem Weg zur Macht vor sich. Da ist zunächst mal Oppositionsführer Silvio Berlusconi, der allen Meinungsumfragen zufolge für die Parlamentswahlen im nächsten Frühjahr klar vorne liegt. Da ist aber auch der seit Massimo D'Alemas Rücktritt im April amtierende Regierungschef Giuliano Amato.

Gerufen als Übergangspremier, hatte Amato sofort Ambitionen auf die Spitzenkandidatur für Mitte-links im nächsten Jahr angemeldet. Mehr noch: Amato erklärte rundheraus, die Benennung eines anderen Spitzenkandidaten durch die ihn stützende Koalition fasse er als Misstrauensvotum auf, das den sofortigen Rücktritt seiner Regierung provozieren müsse. Ein schönes Dilemma für die Koalition: Sie stand vor der Alternative, entweder im Jahr 2001 mit dem nicht sonderlich populären Amato die Wahlen zu verlieren oder aber ohne ihn schon im Herbst 2000.

Rutelli tat daraufhin einen Schritt, der in der italienischen Politik sonst sicheren Misserfolg garantiert: Er selbst meldete seine Kandidatur an, und er wählte als Ort dafür weder die Partei- noch Koalitionsgremien, sondern ein trautes Tête-à-tête ausgerechnet mit Amato. So, als hießen sie Schröder und Lafontaine, überbieten die beiden sich seitdem mit Erklärungen gegenseitiger Wertschätzung und mit Schwüren, fortan mit „Fairplay“ um die Kandidatur zu pokern, doch Rutelli hat eindeutig das bessere Blatt. Für ihn sprechen die Meinungsumfragen, die ihn als einzigen Mitte-links-Kandidaten ausweisen, der Berlusconi die Stirn bieten könnte. Für ihn sprechen auch die 1993 und 1997 in Rom errungenen Wahlsiege: Ihm gelang es, sich dort durchzusetzen, obwohl die Bürger der Hauptstadt deutlich nach rechts tendieren.

Gegen Rutelli spricht die mangelnde Regierungserfahrung, doch dieser Einwand scheint von Tag zu Tag weniger zu zählen. So kommentierte Clemente Mastella, Chef der christdemokratischen UDEUR: „Rutelli kann Berlusconi viele weibliche Stimmen abjagen. Da interessiert es mich absolut nicht, ob er mehr oder weniger Kompetenz hat als Amato.“ Und Pietro Folena, Nummer zwei der Linksdemokraten, echote am Donnerstag auf dem Festival der Unità, das einzige Kriterium bei der Kandidatenauswahl sei die Fähigkeit, Berlusconi zu schlagen.

Endlich glaubt die Koalition, einen italienischen Clinton, Blair oder Schröder gefunden zu haben: Jung, gut aussehend, telegen und charmant, präsentiert Rutelli sich als „neues Gesicht“ in der Politik, obwohl er schon seit gut 20 Jahren dabei ist. Und einen ersten spektakulären Erfolg hat er schon erreicht: Die bisher der eigenen Niederlage sichere Koalition fasst wieder Zuversicht.

So groß ist die Erleichterung, dass die meisten großzügig über die hohe Elastizität hinwegschauen, die Rutelli bisher in seiner politischen Laufbahn bewies: Vom Radikalen, der gegen Staat und Vatikan für Bürgerrechte stritt, über den Grünen zum Vatikan-nahen Mann der politischen Mitte, der bei Prodis Democratici eine wohl auch nur provisorische Heimat gefunden hat.

Klaglos auch findet sich das Regierungsbündnis damit ab, dass die Kandidatenauswahl im eigenen Lager nicht viel demokratischer abläuft als beim Berlusconi-Block. Am Mittwoch treffen sich die Vorsitzenden, um endlich das Procedere festzulegen. So viel steht jetzt schon fest: Im Oktober oder November wird eine „Convention“ der acht Mitte-links-Parteien steigen, die den Kandidaten nominiert. Wählen allerdings darf sie ihn nicht. Schon um Koalitionskrisen zu vermeiden, wird es keine Kampfabstimmung geben. Die Auswahl besorgen die Parteichefs lieber selbst hinter verschlossenen Türen. Der Convention obliegt es dann, den Mitte-links-Frontmann zu beklatschen. Und alles spricht dafür, dass dieser Kandidat Rutelli heißt. MICHAEL BRAUN