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Kagel dirigiert Kagel

Wenn der Hund winselt: Porträt des diesjährigen Ernst-von-Siemens-Preisträgers

Dort, wo die luzide schimmernden, hohen Streicher aussetzen, halten Celli und Bässe die Spannung mit einem gezupften Ostinato aufrecht. Ein neuer Klang hebt an und säuselt elegisch über der pulsierenden Grundierung. Das Publikum stutzt zunächst, dann kehrt Gewissheit ein, es ist das herzzerreißende Winseln eines Hundes. Wenig später fordert knurrendes Bellen eine rhythmisch kraftvolle Replik des Orchesters heraus.

Mauricio Kagel hat den Titel des Stummfilms „Un Chien Andalou“ („Ein andalusischer Hund“) von Luis Buñuel und Salvadore Dalí beim Wort genommen und seine Filmmusik mit Tiergeräuschen angereichert. Es liegt in der grotesken Opposition von Streicherklängen und Hundewinseln etwas Komisches. Und Komik gilt der Musik seit je als problematische Kategorie. Den musikalisch geistvollen Witz hat es wohl immer gegeben. Die Pointe, die es auf einen Lacher abgesehen hat, kaum.

Es gehört zu Kagels unangefochtenen Leistungen, der Musik einen ernst zu nehmendem Humor beigebracht zu haben. Das Ritual des Konzertwesens wurde unter seinen Händen der Lächerlichkeit preisgegeben. Nicht zuletzt für seine reflektierende Komik erhielt Kagel in diesem Jahr den Ernst-von-Siemens-Preis, der gerne auch als der Nobelpreis für Musik gehandelt wird. Seit den späten 50er-Jahren hat Kagel die Parameter musikalischen Denkens entschieden ausgeweitet. Instrumentalmusik wurde da als Inszenierung verständlich, Haushaltsgeräte avancierten in „Acustica“ zu Musikinstrumenten, in „Ludwig van“ verkam die vor Ehrfurcht erstarrte Rezeption zur Farce.

Wenn Kagel jetzt am Montagabend beim SFB gastiert, um im Rahmen der „Festwochen“ ein Konzert mit eigenen Werken zu dirigieren, dann kam dies einem würdigenden Zeremoniell gleich. Tatsächlich wurde Kagel ehrenvoll empfangen und als Meister gefeiert. Auf dem Programm standen Stücke aus dem Spätwerk. Neben der erwähnten Filmmusik zu „Un Chien Andalou“ das Konzertstück für Orchester „Opus 1991“ und das monumentale „Liturgien“ für Soli, Doppelchor und großes Orchester.

Diese Werkauswahl zerstörte allerdings die Hoffnung auf ein breit gefächertes Porträtkonzert. Denn Kagels Partituren haben seit Mitte der 80er-Jahre nur noch wenig mit dem aufmüpfigen Gestus früherer Jahrzehnte gemein.

So wie man einen Begriff, den man einmal gründlich hinterfragt hat, fortan mit einer gewissen Selbstverständlichkeit verwendet, bewegt sich Kagel nunmehr behände und geschmeidig im Ausdrucksfundus der klassischen Musik. Wendungen, die früher bestenfalls als Klischee aufgerufen wurden, wahren jetzt ihren ursprünglichen Charakter. Die Klänge stehen plötzlich für das ein, für das man sie zu halten gewohnt ist.

Das gilt insbesondere für das Hauptwerk des Abends, die „Liturgien“. Kagel strebt nicht weniger als die musikalische Verschmelzung der Weltreligionen an und die gewichtige Thematik verlangt Buchstäblichkeit, die Kagel mit einem dicht gewebten, von DSO und Rundfunkchor voller Inbrunst vorgetragenen Monodien-Geflecht einlöst. Man mag beklagen, dass Kagel das Experimentieren in den vergangenen Jahren aufgegeben hat. Das Interesse an kompositorischer Forschung hat er deshalb nicht verloren. Es hat sich lediglich der gestalterische Akzent in die Musik selbst hinein verlagert. Plakative Gesten bleiben aus. Und wenn der hörende Nachvollzug etwa von subtil auskomponierten Obertonspektren in „Opus 1991“ rudimentär bleibt, so haben Kagels Partituren deshalb an Überzeugungskraft keineswegs verloren. BJÖRN GOTTSTEIN

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