ex und pop (16): weltausstellungswunden
:

von DIETRICH ZUR NEDDEN

Heute Abend soll es zwar vorbei sein, aber auch das wird sich als Irrtum, Fehleinschätzung oder gar bewusste Falschaussage herausstellen: „Trauma 2000“, so ist einer hannoverschen Zeitung zu entnehmen, gehe zu Ende. Dass es sich dabei um die 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und zugleich den 4. Europäischen Unfallkongress handelt, kann als nebensächlich betrachtet werden bzw. ist mir doch egal bzw. im Gegenteil: „Trauma 2000“ sollte fortgeschrieben werden bis allerspätestens ins Jahr 2050, wenn es uns allerspätestens gerissen hat. „Wir sind der Stoff, aus dem die Traumata sind“ (Shakespeare). Mindestens aber die Wochen bis zum 31. Oktober ziehen unter dem Motto „Trauma 2000“ an uns vorbei. Und wenn die Weltausstellung dann ihr Ende findet, haben wir beim Suchen wenigstens geholfen.

Um bei der Unfallchirurgie zu bleiben: Klaffende Wunden fügt offenbar auch die Süddeutsche Zeitung den Journalisten des Expo-Journals zu. Heroisch für ihre Heimatstadt sich opfernd geifern sie gegen die „Weißwurst-Weltmänner“ und „eine Zeitung in München, die mit verkniffenem Eifer jeden Tag eine schlechte Nachricht über die Expo ins Blatt rückt“. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: „Wir in Hannover lieben die Bayern, nur manche in München nicht.“ Lässig schlägt die SZ gelegentlich auf den ihr entgegenpolternden verkniffenen Eifer ein, entdeckt in Niedersachsen „nur Nebel und depressive Schafe und die Stadt Hannover, die eigentlich gar keine Stadt ist“, und meint, „Niedersachsen ist bestimmt eine fiese Wüste, in die keiner freiwillig reist“. Man muss es anscheinend Schlauköpfen, die sich nicht wie unsereins mit ihrer Paranoia ganz entspannt auf Du und Du unterhalten, übersetzen: Ist doch alles nur Spaß!

Weniger der Anblick, der einen bei gutem Wetter auf der Expo-Plaza unvermeidlich erwartet: Nichts, gar nichts gegen kurze Hosen, aber mehrere Männer, die so bekleidet und mit einem Rucksack, der bis zum Steiß runterhängt, ein Zwei-Liter-Gebinde vollsüßen Eistees an den Hals setzen und danach gestärkt in den Countdown-alles-muss-raus-Outlet-Store traben, in dem „Jedes Teil für 10 DM“ zu haben ist, die treiben einen schließlich irgendwann doch in den „Irrgarten der Sinne“, der in Gestalt eines labyrinthisch ausgefrästen Maisfeldes vor dem Osteingang der Expo liegt.

Denn das Leben an sich bleibt hart und brutal. Das beweisen nicht nur die allerseits willkommenen Tränen des Rennfahrers Michael Schumacher, der alle Tricks kennt, aber nichts dem Zährenstrom entgegensetzen konnte. Falls ihm nicht doch sein PR-Manager irgendetwas ins stille Wasser getan hat, müssen die Ursache fürs unaufhaltsame Schluchzen die fünf Milliarden Mark gewesen sein, die Ferrari seit dem Engagement Schumachers in sein Rennauto gesteckt hat. Ohne den Titel gelten sie laut Welt am Sonntag als vergeudet. Entsprechend wird sich also das mit der Wüste sowieso ab ca. 1. November erledigt haben. Hannover wird eine Insel im Tränenmeer sein. Und dann kommt der Winter.