: Missing links zum Überwachungsstaat
■ Im Kulturzentrum Schlachthof gibt's jetzt ganz viel „Innere Sicherheit“: Unter dem Titel „Safety First“ errichten KünstlerInen Tamponwände, züchten Mutanten und sorgen unterm Strich für Ärger
Vor 2000 Jahren schlug das Imperium noch mit grausamer Härte zurück. So ließ der römische Kaiser anno 71 vor Christus die Überlebenden des Aufstandes um den entlaufenen Sklaven Spartacus an der Via Appia kreuzigen. 5.000 Hingerichtete sollten allen gefangenen Sklaven eine abschreckende Warnung sein und den Sklavenhaltern zeigen, dass im öffentlichen römischen Raum nun wieder Sicherheit herrscht. Die Massenkreuzigung an der Via Appia war aber zu allererst ein Zeichen für das Systemversagen, die Gefahr nicht schon vor dem Aufstand erkannt zu haben. Die meisten nachfolgenden echten und fiktiven Imperien haben daraus gelernt. In George Orwells Stalinismussatire „1984“ schlägt der Staat schon beim individuellen Gedanken an den Aufstand zu. Und der echte Stalinismus ging sogar noch weiter: Da definierte der Staat selbst konstruktive Mitwirkung am Aufbau des Sozialismus nachträglich zu aufrührerischen Gedanken um, und nicht wenige Verurteilte wirkten daran in Selbstanklagen mit. Eine größere Sicherheit oder Absicherung eines Staates vor seinen BürgerInnen ist kaum denkbar.
Die westliche Demokratie und mit ihm auch das Gemeinwesen im Minibundesland Bremen ist weit von diesen totalitären Szenarien entfernt. Die Lebensregeln werden mehr oder weniger offen ausgehandelt, der Interessenausgleich findet in mehr oder minder zivilisierter Form statt. Dazu gehört auch ein Veranstaltungsprogramm wie das Projekt „Safety First“, mit dem sich das Kulturzentrum Schlachthof zusammen mit Gästen Gedanken zum Thema macht. Kurz gesagt geht es um die Sicherheit des Staates vor den BürgerInnen, die Sicherheit der BürgerInnen vor dem Staat und die Sicherheit der BürgerInnen vor MitbürgerInnen.
Anlässe für das aus einer Ausstellung und Vorträgen bestehende Projekt gibt es genug. Die große Koalition will das Polizeigesetz novellieren und eine verdachtsunabhängige Videoüberwachung öffentlicher Plätze erlauben. Während diese Observationsform die Diskussion in Deutschland erst seit wenigen Jahren belebt, ist der zweite Anlass des Projekts schon etwas älter: Durch private Sicherheitsdienste überwachte Shopping Malls und Passagen sind kein öffentlicher Raum im ursprünglichen Sinn mehr. Die Maßstäbe für schickliches und unschickliches Verhalten sind so viel strenger als auf der offenen Straße, dass die polizeiliche Überwachung des öffentlichen Raums im Vergleich (oder im Rückblick) in höchstem Maße als tolerant erscheint.
Mehr als 30 Bremer KünstlerInnen und ein Berliner Kollege haben sich seit der Ausschreibung im Februar Gedanken über all das gemacht. Vom Magazinkeller bis hinauf in den Turm des Schlachthof haben sie Installationen eingerichtet, Bilder aufgehängt und Kameras angebracht. Denn, so heißt es in der Ankündigung des Organisationsteams, „sehen Sie selbst! Sehen und gesehen werden. Es wird aufgezeichnet und registriert“.
Zu sehen ist eine breite Palette – ästethisch wie inhaltlich. Das Arbeitslosenzentrum Tenever etwa zeigt Videofilme mit Befragungen von PassantInnen in Osterholz-Tenever, die eine geplante und inzwischen wieder vertagte Videoüberwachung mehrheitlich begrüßt haben. „City.Crime.Control“, der „chaos treff bremen“ und andere machen im Schlachthof und im Internet (www.aktuelle-kamera.org) bereits installierte Kameras sichtbar und überwachen sozusagen die Überwachung. Elisabeth Schindlers etwas plump wirkende (oder gerade in ihrer Naivität provozierende?) Kapitalismuskritik zieht sich in Video und Sprüchen („Reden Sie bloß nicht von Arbeitsplätzen, schließlich geht es um Profitmaximierung“) durch's Treppenhaus. Weiter unten rücken Katja Blum und Hiltrud Gauf dem Thema mit einer Wand aus rund 36.000 Tampons mit Witz zu Leibe.
Jörg Coblenz geht noch weiter. In einem Galerieraum projiziert er Porträts von „Mutanten“ an die Wände und gesellt Bilder ihrer künstlichen Erinnerung dazu. Und Isolde Loock und Anne Schlöpcke teilen die Bevölkerung in einem hintersinnigen Innere-Sicherheit-Projekt durch farbige Armbänder nach Gehaltsstufen in Gruppen ein. Anders als in Huxleys „Brave New World“, in der „alle Delta-Kinder Khaki tragen“, trägt hier die Gruppe mit einem Einkommen zwischen 1.000 und 3.000 Mark gelb. Trotz dieses feinen Unterschieds wird aber nicht nur an diesem Werk deutlich: Wir sind Huxleys Konsumparadies längst viel näher als Orwells Polit-Horror und Überwachungsstaat, wenngleich „Peeping“ Thomas Lippick die Überwachung und das Abfilmen von PassantInnen auf offener Straße für seine Kunst nutzt und eine ästhetisch gelungene Installation zustande bringt, aber das Recht auf das eigene Bild seinerseits verletzt.
Insgesamt sind in der Ausstellung „Safety First“ einige schwache, aber auch zahlreiche originelle Einfälle versammelt. Doch beim anschließenden Drübernachdenken reißen doch immer größere Lücken auf. So ist die Tamponwand – zumindest bei der Vorbesichtigung der gestern nicht ganz fertig gestellten Ausstellung – der einzige spezifisch weibliche Beitrag. Bei den beteiligten KünstlerInnen ist offenbar keine Rede mehr von Angsträumen und den bei Frauen weit leichter als bei Männern zu weckenden Unsicherheitsgefühlen. Unterm Strich richten die Beiträge – abgesehen von abstrakt-metaphorischen Ideen wie Elke Prieß' „Sicherheitskleider“ – ihren Blick mehr auf Staat und andere Obrigkeiten als auf die Gesellschaft. Beiträge zum Mediensommerloch-Thema Neofaschismus und der längst vor dem Sommer begonnenen Eroberung der kulturellen Hegemonie durch die neue Rechte in weiten Teilen Ostdeutschlands fehlen offenbar völlig. Auch Reservate wie rund um die Fußballstadien oder das Stage-Diving im Rockkonzert, in denen Unsicherheiten in dosierter Form ausgelebt werden, sind den „Safety First“-MacherInnen kein Thema. Diese Missing Links bescheren mehr Ausstellungsärger als -gewinn. Christoph Köster
bis zum 12.10. im Schlachthof. Eröffnung heute um 20 Uhr mit einem Vortrag des Berliner Künstlers Martin Kaltwasser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen