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Nur weil er die Wahrheit sagt

Ab Montag sitzt der gnadenlose Richter Ronald Schill vor Gericht. Wegen Freiheitsberaubung, sagt die Anklage. Wegen politisch missliebiger Meinungen, sagt er  ■ Von Elke Spanner

Seinen Großvater hat er persönlich nicht mehr kennengelernt. Dessen Name aber ist seine Visitenkarte. Angenehm, Schill, „geboren als Enkel des von den Nazis 1944 ermordeten Widerstandskämpfers Kurt Schill“, teilt er gleich im ersten Satz der Vita mit, die er bei Gründung seiner Partei „PRO“ in Umlauf brachte. So ein Großvater macht unanfechtbar. Wie kann man ein Rechter sein, blickt man auf eine antifaschistische Familiengeschichte zurück?

Mit seinem Großvater, führt Amtsrichter Ronald Schill gerne an, verbindet ihn vieles. Wegen dessen Schicksal „verabscheut“ er heute Neonazis. Und wie schon sein Vorfahre werde auch er nun politisch verfolgt. Weil in den heutigen Verhältnissen seine Meinung missliebig sei. Heute würden selbst die Schulen missbraucht, um „zu einem Umbau der Gesellschaft im Sinne linker Theorie zu gelangen“. Die Justiz habe „ein Herz für Verbrecher“, und die Politik verschliesse die Augen davor, dass „Drogenkuriere in Kurdistan und im Kosovo angeworben werden, indem man ihnen Filme über den Luxus deutscher Strafanstalten zeigt“. Und weil er, Schill, all das enttarnt und damit den Willen des Volkes artikuliert, werde er nun abgestraft. Allein deshalb hätten ihn die ideologisierten Ermittlungsbehörden nun von der Richterbank auf die Anklagebank verfrachtet.

Dort nimmt er am Montag Platz. Im Staatsschutzsaal 337 des Hamburger Landgerichts, in dem die ZuschauerInnen durch eine Glasscheibe abgetrennt sitzen, so wie Schill es auch für die BesucherInnen von Strafgefangenen einrichten wird, sollte sein Traum Wirklichkeit werden und er nach der kommenden Bürgerschaftswahl Innensenator von Hamburg sein. Sollte er wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung verurteilt werden, ist der Traum allerdings geplatzt. Die Mindeststrafe lautet ein Jahr Freiheitsentzug. Damit würde er juristisch als „Verbrecher“ gelten, und ein solcher kann weder ein Regierungsamt bekleiden noch auf der Richterbank sitzen und über Schuld oder Unschuld von BürgerInnen urteilen.

Schill aber ist sich des Freispruchs sicher. Er hat seinen Großvater, er hat ein „tiefes Gerechtigkeitsempfinden“, und er weiß, er hat Recht. Hätte er die beiden Prozesszuschauer, die er im Mai vorigen Jahres in Ordnungshaft nehmen ließ, tatsächlich im Gefängnis schmoren lassen wollen, hätte er sie auch für sieben Tage einsperren können, ist das Argument, das er zu seiner Entlastung vorzutragen pflegt. Ergo kann sich nun wirklich niemand beschweren, der nur drei Tage in der Zelle saß, weil er beim Urteil nicht aufrecht stand und dadurch dem Gericht den schuldigen Respekt verweigerte.

Schill wird zur Sache aussagen, aber wohl nicht am ersten Tag. Seine Statements pflegt er in einem Rahmen abzugeben, den er sich selber dafür sucht. Vor zwei Wochen erst schuf der 41-Jährige sich eine Gelegenheit, seine Meinung über die Anklage in der Öffentlichkeit kundzutun. Da hatte er sich nach Wilhelmsburg begeben, um anläss-lich eines familieninternen Mordes die mangelnde Innere Sicherheit in der Hansestadt anzuprangern. Bei der Gelegenheit kündigte er siegessicher an, er werde freigesprochen, „hundertprozentig“. Wieso? „Weil es ein politischer Prozess ist“, denn er habe „Bodenhaftung“, die anderen Politiker nicht. Viele Passanten klatschten Beifall dafür. Steht nicht er auf der Kirmes in Wilhelmsburg, eine Bratwurst mit Senf in der Hand, während der Bürgermeister edel im Rathaus zu Mittag speist?

Schills politische Vorbilder sind Edmund Stoiber (CSU) und der New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani, Erfinder des „Zero-Tolerance“-Konzepts. Auch in Hamburg wird es „Null Toleranz“ selbst bei Bagatelldelikten mehr geben, sollte der Mann, der sich mit harten Urteilen den Beinamen „Richter Gnadenlos“ erwarb, eines Tages Innensenator sein. Bis zu fünfzehn Jahre Haft schlug er in einer Fernsehsendung für den Graffity-Sprayer „OZ“ vor. Außerdem, so das Programm seiner „Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO)“, wird „das Kartell strafunwilliger Jugendrichter aufgelöst“ und „kriminelle Infektion“ vermieden, indem Strafgefangene in „unwirtliche Einzelzellen“ gesteckt werden. Aber er selbst auf der Anklagebank, das ist etwas anderes. Das ist Politik.

Seit Schill sich selbst zum Märtyrer erklärte, sammelt er Disziplinarverfahren wie Ehrennadeln. Jede Kritik an ihm gilt als weiterer Beweis für eine ideologisierte Justiz. Die Erinnerung an das „richterliche Mäßigungsgebot“, nachdem er in einer Talkshow die Einführung der Todestrafe forderte – Politik. Seine Versetzung vom Strafgericht an die Zivilkammer – Politik. Die Dienstaufsichtsbeschwerde, weil er lebenslänglich für „OZ“ forderte – Politik. Und wer so drastische Abwehrreaktionen provoziert, der muss getroffen haben, ins Herz der Wunde, mittenrein. Der spricht mit Volkes Stimme und führt der Politik vor Augen, dass sie das schon lange nicht mehr für sich in Anspruch nehmen kann.

Laut haben seine Anhänger denn auch aufgejault, als Schill ans Zivilgericht versetzt wurde. „Mundtot“ werde der gemacht, der sich zum Anwalt des kleinen Mannes erklärt habe. Wie eine Warnung steht schon jetzt im Raum, die etablierten Parteien würden bei der kommenden Bürgerschaftswahl einen „Denkzettel“ verpasst bekommen, sollte die Justiz den Richter zum Verbrecher erklären. Schon jetzt spricht Schill stets mit einem leicht beleidigten Unterton in der Stimme. Seine Akten beim Zivilgericht bearbeitete er schon lange vor seiner am Mittwoch erfolgten Sus-pendierung nicht mehr, rund 480 Fälle blieben liegen. Er sei befangen, teilte er lapidar mit.

Dafür, dass man ihn als Rechtspopulisten tituliert, hat Schill nur ein verächtliches Schnauben übrig. Nur weil er die Verhältnisse ändern will, wegen „der immer stärker werdenden Verschiebung der politischen Schwerpunkte zu Gunsten der Randgruppen und zu Lasten der Normalbürger“. Der Jörg Haider Hamburgs soll er sein, weil er dem österreichischen Rechtspopulisten zugute hält, ein treffsicheres Gespür für die Wünsche der Menschen auf der Straße zu haben, und weil er nur die Wahrheit ausspricht, wenn er sagt, „das Boot ist voll“. Um dem zu begegnen, hat er ins Parteiprogramm geschrieben, dass die PRO sich „mit Nachdruck für die Interessen der ausländischen Mitbürger einsetzt, die legal nach Deutschland eingereist sind und hier ein Leben ohne Straftaten führen“.

Als Unterstellung schmäht er auch, dass er sich bei einer Regierungsübernahme nur um Innere Sicherheit kümmern werde. „Wir machen auch Sozialpolitik“, verkündete er seinem Wahlvolk vor zwei Wochen lautstark auf der Kirmes in Wilhelmsburg. Er verwies auf sein Parteiprogramm. In der Tat finden sich dort auf einer Seite acht Punkte, die Schill zu dem Stichwort Sozialpolitik eingefallen sind. Über einen Schwangerschaftsabbruch, steht dort zu lesen, entscheidet in den ersten Wochen die Frau. Außerdem seien, teilt Sozialpolitiker Schill mit, „Mann und Frau gleichwertig und gleichberechtigt“. Das hatte vor ihm schon das Grundgesetz festgestellt.

Spricht Schill nicht gerade zum kleinen Mann auf der Strasse, gehört die Bratwurst nicht unbedingt zu seinen Leidenschaften. Mit seiner Freundin Katrin Freund geht er Segeln und Fallschirmspringen, und „die Frau an seiner Seite“, verrät die PRO, „isst am liebsten gegrillte Scampis“. Geht das aufstrebende Paar gemeinsam aus, bekommt Freund diese vor allem in ausländischen Restaurants kredenzt. Schill nämlich, sagte er jüngst, geht fast nur in ausländischen Lokalen speisen. Wie kann so jemand ein Rechter sein?

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