: Per Streichquartett in die Galaxis
■ Der Pianist András Schiff und das Quatuor Mosaiques gaben in zwei wunderbaren Konzerten eine Ahnung davon, wie wohl im Himmel Mozart geklungen haben könnte
Der evangelische Theologe Karl Barth hat einmal gesagt, dass die Engel im Himmel offiziell die Musik von Johann Sebastian Bach spielen, heimlich aber die von Mozart. Warum die das machen und ob Barth Recht haben könnte, war jetzt auf schönste Weise zu erfahren an den „Mozartiaden“ des Musikfestes. Von zwei Abenden ist zu berichten, der dritte findet heute Abend statt. Der ungarische Pianist András Schiff hatte späte Kammermusik von Mozart in verschiedenen Besetzungen zusammengestellt, die selten bis nie zu hören ist.
Im Interview hatte Schiff gesagt, dass man die Musik von Mozart nur mit der richtigen Affinität interpretieren kann. Eine nicht ungefährliche Aussage, sind uns doch die MusikerInnen, die eher ihre diffusen Gefühle über das Werk als den Text selbst zur Grundlage ihrer willkürlichen Interpretationen machen, hinreichend bekannt. András Schiff allerdings kann sich das leisten. Auf der Basis äußerster Textgenauigkeit breitet er diese Affinität auf beglückende Weise vor uns aus. Die Deutlichkeit, mit der er beispielweise die Mozartschen Artikulationsangaben von Punkt, Strich und Keil ausführt und differenziert, die Klangnuancen, mit denen er neuen Harmonien feinsten und wenn nötig kräftigen Nachdruck verleiht, die Art, wie er der Musik in einer ungemein organischen Ruhe der Musik vor- und nachhorcht – atemberaubend seine Generalpausen – , die dramatischen Gesten, die er im rechten Moment findet: das alles lässt die Musik wie eben erfunden erscheinen. Das heißt, es ist leicht, diesen Wiedergaben zu folgen, wenn man zuhört, es ist schwer, wenn man abschweift. Das allerdings fällt bei der Intensität Schiffs schwer. Da ist man gerne bereit, auf den heimlich doch erwünschten Hammerflügel – mit dem Mozart allerdings auch nicht zufrieden war – zugunsten des aus Wien herbeigeschafften Bösendorfer zu verzichten.
Im ersten Konzert, das außerdem durch die Geschlossenheit der Mozartschen Lieblingstonarten Es-Dur und c-Moll wirkte, zelebrierte Schiff seine Kunst an der Fantasie und Sonate KV 475 und 457 und im zweiten an den nie gespielten Variationen „Unser dummer Pöbel meint“: Hier entstand ausreichend Raum für Mozartsche und Schiffsche Ironie mit einem kräftigen Schuss Deftigkeit und Humor. Der Reichtum an innerer Bewegung, den Schiff nachzugestalten imstande ist, setzt Maßstäbe.
Im ersten Konzert erklang außerdem das Divertimento in Es-Dur, KV 563, ein Riesenwerk, das Arnold Schönberg für eins der schwersten der gesamten Musikliteratur hielt. Erich Hörbarth, Violine, Yuuko Shiokawa, Viola und Miklós Perényi, Cello tasteten diese Wunderlandschaften an permamenter Innovation ab: Wie hier mit Form bis hin zur Fragmentierung gespielt wird, wie durch winzige Änderungen sich harmonische Felder verändern, das ließ kaum Wünsche offen. Dass Erich Hörbarth im letzten Satz die Anstrengung anzuhören war: geschenkt, so schön spielte er im zweiten Abend die Violinsonate KV 454 in beredtem, inspiriertem Dialog mit Schiff.
Auch nie zu hören: Die beiden Klavierquartette, über deren Schwierigkeit es ein aufschlussreiches zeitgenössisches Urteil gibt. Im „Journal des Luxus und der Moden“ ist 1788 zu lesen: „Manches andre Stück behauptet sich noch in einem mittelmäßigen Vortrage, dieses Mozartsche Produkt ist willkürlich kaum anzuhören, wenn es unter mittelmäßige Dilettanten–Hände fällt und vernachlässigt vorgetragen wird“. Hörbarth, Shiokawa, Perényi und Schiff führten uns auch durch diese Welt: Äußerste Aufmerksamkeit beim Publikum nach zweidreiviertel Stunden zeigte, dass solches gewünscht ist und gehört werden will.
Das Quatuor Mosaiques – seit Jahren gern gesehener Stammgast beim Musikfest – spielte die beiden Streichquartette KV 499 und 590. Es kennzeichnet die Konzeption dieses Zyklusses, dass Schiff gleichwertige InterpretInnen gefunden hat; auch bei ihnen dieses Gespür für das stets Überraschende und Existentielle dieser Musik, für das Singen und Tanzen, für das Kappen gerade entstandener Emotionen. Man fragte sich bei diesen Wiedergaben öfter mal, was von Mozart noch alles gekommen wäre, hätte der Komponist länger gelebt. Doch ein kleiner Wunsch an Hörbarth, Andrea Bischoff, Anita Mitterer und Christoph Coin: diesen Ansatz noch radikalisieren. Aber wir wollen nicht meckern ob dieser Riesenleistung. Der Mozartsche Arienabend mit der Deutschen Kammerphilharmonie konnte dem nicht das Wasser reichen, auch wenn Eva Mei noch so flexibel ist und alle „Fächer“ von der Zerlina bis zur Donna Anna mal so eben wunderbar singt. András Schiff jedenfalls ist ganz begeistert von Bremen und der Oberen Rathaushalle und spinnt bereits über das nächste Projekt: Beethoven. Nur zu, wir werden kommen.
Ute Schalz-Laurenze
Die dritte „Mozartiade“ist zu hören heute, 20 Uhr, im Rathaus
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