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Lex China

Weil die übermächtigen chinesischen Gewichtheberinnen nicht im Dutzend auf die Heberbühne gelassen werden, feiert Kolumbien seine erste olympische Goldmedaille durch Maria Isabel Urrutia

aus Sydney MATTI LIESKE

Es war ein veritables kolumbianisches Volksfest, das sich gestern im Convention Center entfaltete. Die erste olympische Goldmedaille für das südamerikanische Land hatte es endlich gegeben, aber nicht etwa im Fußball oder durch einen kletterstarken Radfahrer, sondern in einer Sportart, die man mit Kolumbien wohl zuallerletzt in Verbindung bringen würde: Gewichtheben der Frauen.

Insidern des relativ jungen Sports, der vor 13 Jahren seine erste Weltmeisterschaft erlebte und in Australien sein olympisches Debüt feiert, ist Maria Isabel Urrutia, die Siegerin der 75-kg-Klasse, durchaus ein Begriff. Die 35-Jährige ist eine der Veteraninnen der Sportart und hat schon 24 WM-Medaillen geholt. Etwas überraschend kam ihr Olympiasieg trotzdem.

Es ist eine multikulturelle Schar, die zu den Wettkämpfen der Frauen angereist ist. Während bei den Männern Osteuropa dominiert, traten gestern Heberinnen aus der Dominikanischen Republik, aus Finnland, Taiwan, Kalifornien und mit Ruth Ogbeifo eine Athletin aus Nigeria an. Deren Silbermedaille kam noch überraschender als das Gold von Urrutia, doch zufrieden war sie nicht. „Das war erst der Anfang, sagte die 28-Jährige, „in Zukunft will ich es besser machen.“ Im Übrigen fühle sie sich sowieso als Gewinnerin, da sie im Zweikampf die gleiche Last hob wie Urrutia und nur wegen ihres höheren Gewichts abgerutscht war. So gesehen muss sich vor allem Kuo Yi-Hang aus Taiwan grämen. Sie hatte ebenfalls 245 kg gestemmt, bekam aber Bronze, weil sie knapp 1,2 kg schwerer war als die Siegerin. Teure zweieinhalb Pfund, denn Taiwan hat für einen Olympiasieg stolze 10 Millionen Dollar ausgesetzt – taiwanische allerdings, was ungefähr 700.000 Mark entspricht. Für Bronze kassieren die Sportstudentin Kuo und die Trainer jetzt nur jeweils etwa 300.000 Mark, was für einige Essen in der Mensa jedoch durchaus reichen dürfte.

Dass Sportlerinnen wie Urrutia oder Ogbeifo überhaupt die Chance bekamen, um Gold zu heben, liegt an einer obskuren Regel, die vom IOC veordnet wurde. Eine Art Lex China, die verhindern soll, dass die übermächtigen Chinesinnen alles abräumen, und besagt, dass jedes Land nur vier Teilnehmerinnen für die sieben Gewichtsklassen melden darf. Was ungefähr so ist, als würde man Chinas Tischtennisspieler nur im Doppel antreten lassen oder die Basketballer aus den USA nur bis zum Viertelfinale. 300 Gewichtheberschulen gibt es in China und rund tausend ausgebildete Trainer.

Ein Talentsichtungssystem sorgt dafür, dass besonders kräftige Mädchen schon frühzeitig in die Trainingszentren geschickt und dort ausgiebig gedrillt werden. Sich für ein internationales Turnier zu qualifizieren ist wesentlich schwieriger, als es dann zu gewinnen, weshalb die Funktionäre sicher sind, dass manche Olympiasiegerin von Sydney schon bei der nächsten WM wieder zu Hause bleiben muss. Bei den bisherigen 13 Weltmeisterschaften hat China 240 Goldmedaillen gewonnen, die nächsterfolgreiche Nation ist Taiwan mit 17. Und auch in Sydney endeten alle drei bisherigen Auftritte der Erwählten aus dem Reich der Mitte gülden, der vierte Sieg wird morgen im Superschwergewicht durch Meiyuan Ding erwartet.

In Sydney sind die Auftritte der Gewichtheberinnen in den ersten olympischen Tagen eine Art Geheimtipp geworden, manche Zeitungen sprechen sogar vom „most sexy event“ bisher. Statt der erwarteten Muskelmonster traten Athletinnen auf, die durch die Kombination von Kraft, Schnelligkeit und Technik zu überzeugen wussten, auch wenn die auffällige Verbreitung pickeliger Gesichtspartien den Verdacht nahe legt, dass es in manchen Herkunftsländern mit den Anabolikatests nicht allzu weit her ist. Chinas Chefcoach Wenxi Zhang legt indes Wert auf die Feststellung, dass von der zehnprozentigen Reduzierung des chinesischen Olympiateams vor Beginn der Spiele keine Gewichtheberinnen betroffen waren. Und Tamas Ajan, Generalsekretär des Internationalen Gewichtheberverbands (IWF), verweist darauf, dass seine Organisation mit die größten Anstrengungen im Antidopingkampf unternehme. „Wir wollen nicht nur raucherfreie, sondern auch doperfreie Spiele haben.“

Wenn es nach Karnam Malleswari geht, zudem kalorienarme Spiele. Der indischen Bronzemedaillengewinnerin in der 69-kg-Klasse hatten einheimische Medien vorgeworfen, sie sei zu fett, weil sie zu viel Bier trinke und zu viel Käse esse. Olympisch mögen sie jetzt sein, die Gewichtheberinnen, aber ganz leicht haben sie es immer noch nicht.

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