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„Liebe taz...“ Das Goldene Kalb Wirtschaft

Betr.: „Von der Umverteilung zum Größenwahn“, taz 16.9.

Als Ausnahmeleser der taz machte mir der Bericht von Helga Trüpel „Von der Umverteilung zum Größenwahn" einmal wieder deutlich, dass hier ein Forum für Meinungen besteht, das in Bremen seinesgleichen vergeblich sucht!

In der Tat hat sich seit einigen Jahren der Größenwahn in Bremen breit gemacht. Die Entscheidungsträger in der Politik setzen auf Größe, weil nur Größe plakativ genug ist, um Erfolg und Bedeutung dem Wähler sichtbar zu machen.

Zum Wahn wird die Sucht nach Größe dort, wo ohne Kritikfähigkeit das goldene Kalb „Wirtschaft" angebetet wird. Leider ist in Bremen der Begriff „Wirtschaft" zum Synonym für gesellschaftlichen Wert schlechthin geworden.

So meint der Bildungssenator Lemke, er bräuchte nur Computer in abgewirtschaftete Schulräume zu stellen und schon ist der Beitrag für die dynamische Wirtschaft der New Economy geleistet.

Der Wirtschaftssenator Hattig propagiert den Oceanpark, den Spacepark, das Hightech-Musical undundund. Ziel der Gigantomanie ist es, goldene Kälber aufzustellen und die Hoffnung der Menschen daran zu binden, hier ginge es um Arbeitsplätze, Wirtschaftsförderung und Stadtidentität. Wirtschaftsförderung und Tourismus sind die Eckpfeiler, zwischen denen sich jedes Argument für Investionen wie eine Hängematte aufspannen lässt. Doch die Maschen sind zu groß, wer sich darauf betten will, der fällt durch.

Wirtschaft ist nur eines mehrerer Argumente im Kanon der gesellschaftlichen Werte. Bei aller Wichtigkeit ist sie bei weitem nicht alles, weil sonst nur noch die Ellenbogen, die totale Selbstausbeutung und die Eindimensionalität menschlichen Erlebens vor dem Bildschirm die Zukunft bestimmen.

Kultur und deren Marketing kann nicht ausschließlich danach bewertet werden, wie hoch ihr Beitrag zur Tourismusförderung und zur Potenzierung des Bremen-Images ist. Die Investitionsruinen Musical und Erlebnisparks werden diese Stadt bereits in naher Zukunft ebenso zusätzlich belasten, wie die geschickten Schattenhaushalte der diversen Wirtschaftsförder- GmbHs. Dort nämlich türmen sich Schulden, geschickt verdeckt von jeder parlamentarischen Kontrolle, soweit von dieser bei der großen Koalition überhaupt noch geredet werden kann.

Man hat den Eindruck, dass in Bremen all das die besten Aussichten auf Finanzierung hat, was nach Kultur klingt, in Wahrheit aber kommerziellen Effekt bringen soll. Völlig aus den Augen verloren wird bei diesem Größenwahn die Basis, bildlich gesprochen der Humus, auf dem die prächtigen Bäume ihre Nahrung finden. Wenn man nur noch die Monokulturen eines sterilen Showbusiness finanziert, statt in die kulturelle Vielfalt des Alltags zu investieren, wird dieser Alltag alsbald enttäuscht und ohne Nahrung in sich zusammenfallen. Eine Größe entwickelt sich nur dort, wo es auch das Kleine gibt. Das Besondere ist eine herausragende Variante des Allgemeinen! Wenn man das kulturelle Ereignis und damit die Ideengeber, die Ini-tiatoren, die Macher immer nur international einkauft, kann sich eine regionale Szene nicht zu höherer Qualität entwickeln.

In Bremen braucht man wieder den Mut, sich auf die Region zu besinnen, in die Region zu investieren und der Region zu vertrauen. Gesucht sind deshalb Investoren und der politische Wille, deren beider Blick über das funktionalisierte Spektakel hinausgeht und die im Zusammenspiel von Bildung, Kultur und Wirtschaft jene lebenswerten Werte schaffen, die weder kleinkariert noch größenwahnsinnig sind.

Michael Weisser, Creative Consultant/Bremen

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