: Verwehte Worte
Seebestattungen sind nicht so romantisch, wie viele denken. Sie sind nass und windig, und am Ende gibt es keinen Ort zum Trauern. Nur einmal im Jahr, auf Helgoland ■ Von Eberhard Spohd
Wenn man Am Falm steht, dem Panoramaweg auf Helgolands Oberland, schweift der Blick über die vorgelagerte Düne auf einen Friedhof. Steingrund heißt das Seegebiet weit hinter Flugplatz und Badestrand, das für Seebestattungen ausgewiesen ist. Nur dort, von wo Helgoland nur noch ganz klein am Horizont auszumachen ist, dürfen die Urnen mit der Asche Verstorbener versenkt werden.
Der Wind hat sich zu einer steifen Brise gesteigert. Im offenen Börteboot, dem traditionellen Helgoländer Boot, sitzen die Trauernden. Der Wind scheint durch die Kleidung hindurchzuwehen. Gleichzeitig nimmt der Seegang zu. Nach einer Dreiviertelstunde erreicht das flache Motorschiff den Steingrund. Aufstehen kann und will jetzt keiner, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen. Viele Worte werden auch nicht gemacht, der Wind verweht sie ohnehin sofort. Der Börtemann gibt die Urne über Bord. Langsam versinkt sie in den Fluten. Ein letzter Blick zurück, dann geht es wieder in Richtung Land. Nach weiteren 45 Minuten sind alle froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben.
„Die meisten Menschen stellen sich Seebestattungen sehr romantisch vor“, erzählt einer der Börtemänner, „mit Sonnenuntergang und kurzer Andacht.“ Doch meis-tens sei es kalt und windig. Die See, die die flachen Boote ziemlich arbeiten lässt, tut ein übriges, um die Romantik der Zeremonie auf ein Minimum zu reduzieren. Daran denkt fast niemand, der zu Lebzeiten bestimmt, dass seine Asche dem Meer übergeben werden soll. Und auch nicht daran, dass die Angehörigen dann auch schon ein Alter erreicht haben werden, in dem sich keine Seebeine mehr ausbilden.
Meistens aber begleitet ohnehin niemand den Toten bei seiner letzten Fahrt. Stattdessen wird die Trauerfeier an Land abgehalten. Nach der Einäscherung verabschiedet sich die Gemeinde von der Urne, die dann nach Helgoland verschickt wird – per Post. Dort übernimmt sie ein Börtemann und bringt sie zum Steingrund – allein und denkbar unfeierlich. Und langwierig: Manchmal vergehen bis zu drei Monaten zwischen Tod und Bestattung.
Doch nicht alle Seebestattungen laufen so ab. „Als mein Mann der See übergeben wurde“, erzählt die Hamburgerin Ingeborg Großkopf, „war das eine sehr schöne Feier. Wir sind gemeinsam in einem Kajütboot rausgefahren, der Kapitän hat sich ein schwarzes Jackett angezogen und eine kleine Ansprache gehalten.“ Dann wurde die Urne ins Meer geworfen und versank ganz langsam im Wasser, während das Schiff die Stelle umkreiste, die von einem Blumenstrauß markiert wurde. „Das war schön um Abschied zu nehmen“, sagt Großkopf rückblickend. Sie selbst möchte ebenfalls seebestattet werden.
Einmal im Jahr fährt sie nach Helgoland. Immer am zweiten Sonntag im September findet in der Kirche St. Nicolai ein Gottesdienst für die in der Nordsee Bestatteten statt. Der evangelische Pastor Eckhard Wallmann, der die Andacht abhält, ist sich deren Wichtigkeit bewusst: „Die Angehörigen haben keinen Ort, an dem sie Trauerarbeit leisten können.“ Auf dem Friedhof der Insel sieht er die Trauernden, die an die Gräber kommen, um zu reden und Abschied zu nehmen. Das bleibe nach einer Seebestattung verwehrt. So reisen rund 300 Menschen regelmäßig aus ganz Deutschland auf die Insel, um wenigstens einmal im Jahr zu trauern.
Für Wallmann selbst birgt dieser Gottesdienst aber auch eine besondere Schwierigkeit: „Der Tod ist individuell, aber da kommen sehr viele Menschen, die ich nicht kenne und schon gar nicht ihre Toten.“ Deren Namen werden zu Beginn vorgelesen, und dann muss der Pastor Trost spenden. „Ich versuche, etwas Allgemeines über den Tod zu sagen. Aber sehr pointiert wird das meist nicht.“ Und doch sei diese Zusammenkunft wichtig: „Für viele ist das der Ersatz für den Grabbesuch.“
Sehr viel pragmatischer sehen das die Männer von den Börtebooten. Sie fühlen sich nicht gerade wie Charon, der griechische Fährmann, der die Toten über den Styx bringt. Statt dessen sehen sie sich alltäglichen Problemen gegenüber, beginnend damit, dass auf den offenen Booten keine Toilette ist, bis hin zu Schwierigkeiten mit den Urnen. Diese sind wohl aus Salz, damit sie sich auf dem Meeresgrund auflösen und die Asche freigeben. Auf der anderen Seite sind sie sehr schwer, damit sie auch absinken. Und sie sind sehr zerbrechlich: „Einmal hatten wir es, da ist das Ding umgekippt und wir hatten den Toten an Bord, statt im Meer“, erinnert sich ein Fischer. Oder im Innern der Urne bildet sich eine Luftblase, die verhindert, dass sie untergeht. „Es kommt gar nicht so selten vor, dass der Verstorbene den letzten Segen mit dem Hammer bekommt.“
Trotz dieser Widrigkeiten werden Seebestattungen immer beliebter, ähnlich wie die anonymen Gräber an Land. Die Sorge, den Nachkommen durch die Grabpflege eine Last zu sein oder Kosten zu verursachen, mag ein Argument sein. Dazu kommt die Vorstellung von dem Meer als einem Symbol für die Unendlichkeit. Der Gedanke, durch die eigene Bestattung in einem großen Ganzen aufzugehen, ist offenbar für viele Menschen verlockend. Dafür nehmen sie, oder besser gesagt die Trauernden, die Unbequemlichkeiten in Kauf.
Mit dieser Romantisierung werben auch die Bestattungsunternehmen. Die Vorstellung von einem eigenen Friedhof, der sich auf dem Meeresgrund entwickelt, ist zwar schön, aber nicht realistisch. Die Gezeiten und die in der Nordsee herrschenden Grundseen lassen es gar nicht zu, dass sich Asche und Urnenreste ansammeln. Ein anderes Argument kommt den Angehörigen zugute: Eine Seebestattung sei billiger als ein herkömmliches Begräbnis auf dem Friedhof. Schon für gut 2000 Mark werde die Zeremonie durchgeführt – wollen die Angehörigen allerdings mit an Bord, wird sie entsprechend teurer. Ein drittes Argument ist die seemännische Tradition, die hinter der Feierlichkeit stehen soll. Die aber darf getrost bestritten werden.
War nämlich ein Matrose auf der Fahrt verstorben, wurde sein Leichnam nach Möglichkeit schon immer aufgebahrt, um ihn an Land in geweihte Erde zu bringen. Erst wenn die Verwesung drohte, wurde der Tote aus verständlichen Gründen in einen Leinensack oder seine Hängematte eingenäht und mit einem Gewicht beschwert im Meer versenkt. Um seinen Hals wurde eine Münze gebunden. Denn sollte der Körper doch an Land angespült werden, wurden damit die Begräbniskosten bestritten. Die Gräber auf dem „Friedhof der Namenlosen“ auf Helgoland zeugen davon, dass dies gar nicht so selten vorkam. Auch heute noch finden Seeleute den Gedanken an eine Seebestattung meist absurd. Wie sagt einer der Helgoländer Fischer: „Ich habe mein halbes Leben auf See verbracht und mich nur vor zwei Dingen gefürchtet: zu verbrennen und unterzugehen. Warum also sollte ich im Tod darauf scharf sein“.
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