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Lasterhafte Berlin-Blockade

Heute wollen 1.200 LKW-Fahrer gegen die Ökosteuer demonstrieren. Polizei warnt vor Stau. BVG bietet ein verbilligtes Tagesticket. Die Grünen wollen diskutieren. Unternehmer bleiben gelassen

von PLUTONIA PLARRE

Von so einem Wirkungsgrad seines Arbeitskampfes kann der normaler Proletarier nur träumen: Über 1.200 Truckerfahrer werden die Hauptstadt heute aus Protest gegen die steigenden Benzinpreise lahmlegen. „Berlin wird stillstehen“, prophezeite gestern Innenstaatssekretär Rüdiger Jakesch (CDU).

Das erwartete Verkehrschaos, von dem auch die Zufahrtstraßen und der Autobahnring betroffen sein werden, wird sich von früh morgens bis spät am Nachmittag hinziehen. Die Polizei rät deshalb, auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen. „Am staufreiesten werden die U-und S-Bahnen sowie die Regionalbahn sein“, weist BVG-Sprecher Klaus Wazlak auf ein einmaliges Angebot hin: Mit einem Normalticket für 4 Mark darf man heute den ganzen Tag unterwegs sein.

„Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, hat der Schriftsteller Georg Herwegh im 19. Jahrhundert eine Ode auf die Arbeiterklasse ausgebracht. Die Macht der Trucker ist aber nicht ihrer Muskelkraft geschuldet, sondern der Größe ihrer Laster. Für den Austausch differenzierter Argumente wird so kaum Platz bleiben.

Die Berliner Grünen wollen den Diskurs über die Ökosteuer und die europäische Kostengerechtigkeit trotzdem wagen. Nur wo und wie stand gestern noch nicht fest. „Vielleicht machen wir Straßenstände“, sagt der umweltpolitische Sprecher, Hartwig Berger. Aber man habe natürlich keine Lust in den krebserzeugenden Abgaswolken zu stehen. „Angst, vermöbelt zu werden, haben wir nicht“, betonte Berger.

Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen Michael Cramer ist den Truckern sogar regelrecht dankbar: „Sie demonstrieren heute, wie der Alltag von morgen aussieht, wenn sich nichts ändert“. Auch Wolfgang Wieland, innenpolitischer Sprecher der Grünen, bleibt sich treu: „Wer so wie wir für Demonstrationsfreiheit ist, ist auch für die von Trucker-Fahrern. Unabhängig davon, ob für den Ölpreis von Norwegen bis Madrid die Bundesregierung verantwortlich ist, oder nicht“.

Trucker-Demonstration hin oder her: Das Leben in der Stadt geht weiter. „Wer ein bißchen Erfahrung hat, den schreckt das nicht“, meint etwa Walter Herzog, Verkaufsleiter des Gemüse- und Obst-Großlieferanten Weihe. Das Unternehmen beliefert Senats-, Schul- und Kita-Kantinen sowie Hotels und Gaststätten mit Frischwaren. „Die Hauptware ist schon gestern geliefert worden“, sagte Herzog. „Am Dienstag fahren unsere Lieferanten schon um vier Uhr morgens los, statt um sechs“. Die Firma Express-Bote wird ihren Kunden heute nicht versprechen, dass die Lieferung 20 Minuten nach Anforderung abgeholt wird. „Wir schicken den Boten pünktlich los. Es ist nur die Frage, wann er ankommt“, sagt der Leiter des Call-Zentrums gelassen. Nicht an der Trucker-Demonstration beteiligen wird sich auch die Umzugsspedition Zapf. „Wir versuchen unsere Kunden weiter zu beliefern“, sagt Geschäftsführer Joachim Dulitz. Die Spedition gehe seit längerem mit gutem Beispiel voran. Die Hälfte der Fernfahrten wurde aus ökologischen Gründen auf die Schiene verlagert.

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