schwarze taz: Die Schwerblütige und der Prediger: Fred Vargas und Jean-Claude Izzo
Das Monster da draußen und in uns allen
Fred ist eine Frau: Hinter dem Pseudonym Fred Vargas verbirgt sich eine Archäologin, die in den Ferien Kriminalromane schreibt, vier Stück bisher, mehrfach aufgelegt. Ihr neuer Roman erschien im Hardcover, der Verlag glaubt also an das Erfolgspotenzial der Autorin, die in Frankreich einen Bestseller landete.
„Bei Einbruch der Nacht“ scheint auf den ersten Blick ein geradliniges, knapp und präzise erzähltes Werk zu sein. Aber nach und nach stellt der deutsche Leser fest, dass auch Fred Vargas linksrheinisch gestrickt ist: Wer ist eigentlich die Hauptfigur? Die schöne Camille, die – ganz poetisch und ein wenig abstrakt – wie Kleopatra aussieht, komponiert und außerdem klempnert und gern Werkzeugkataloge liest? Der von den Wölfen in den französischen Alpen faszinierte kanadische Grizzlyforscher Lawrence, der an extremer Wortkargheit leidet? Oder der eigenbrötlerische Pariser Kommissar Adamsberg, der sich für die Wölfe in den Bergen des Südens mehr interessiert als für die eigenen Fälle?
„Bei Einbruch der Nacht“ beginnt in hemingwayscher Kargheit und entpuppt sich gelegentlich doch als schwerblütige Prosa, wenn die Autorin ihren Hauptfiguren in die Seele blickt. Das passt durchaus zum Thema, denn es geht ja darum, dass die Bewohner einiger Alpendörfer glauben, ein Werwolf würde ihre Schafsherden dezimieren – und schließlich sogar Menschen meucheln. Fred Vargas hat das mythische Thema auf ihrer Seite, wenn sie gelegentlich ins Bedeutungsschwere abschweift, und variiert das Standardthema vom Monster dort draußen und in uns allen.
Ihr Landsmann Jean-Claude Izzo dagegen findet in „Chourmo“, dem zweiten Teil seiner Marseille-Trilogie, wie schon im ersten Roman „Total Cheops“ vor allem große Worte. Sein Ich-Erzähler, der italienischstämmige Exbulle Fabio Montale, gefällt sich so sehr in der Rolle des wütenden Anklägers und einsamen Kämpfers, dass er auch diesmal wieder extrem hochtourig fährt. Montale schleudert seine Stakkatosätze, in denen er soziale Missstände und das Elend der Einwanderer anprangert, dem Leser mit Vehemenz entgegen. Man merkt deutlich, wie sehr der Autor ihn als Sprachrohr der eigenen Wut benutzt und dabei die Distanz zu seiner Figur verliert. Den simpel gestrickten Macho stattet er mit allzu vielen intellektuellen Eigenschaften aus und macht ihn ganz unplausibel zum Selfmade-Intellektuellen.
Izzos Dampframmenprosa passt zwar zu dem Milieu der Verlierer und Rebellen, dem sich der Autor verbunden fühlt, aber sie wirkt übertrieben grobschlächtig. Auch die Kriminalfälle, in die sein Protagonist Fabio Montale verstrickt wird, sind plump konstruiert. In „Chourmo“ muss Montale Freunden helfen, die dem Polizeiapparat misstrauen – seine Kusine Gélou (sie sieht nicht aus wie Kleopatra, sondern wie Claudia Cardinale) bittet ihn, ihren Sohn zu finden, der mit einer arabischen Freundin verschwunden ist. Und wieder geht es um strahlende Hoffnungen, die an den Verhältnissen zugrunde gehen. Während Fred Vargas bedeutungsschwanger mit Genremotiven spielt, verrennt sich der brachiale Izzo großspurig in seiner Verzweiflung. Doch beide Autoren – die trivialpoetische Handwerkerin und der Prediger aus Marseille – werden von deutschen Lesern geliebt. Fred, weil sie solide Krimis konstruieren kann, Jean-Claude, weil er trotz aller Mängel die fiebrige Mittelmeermetropole Marseille zum Leben erweckt.
ROBERT BRACK
Fred Vargas: „Bei Einbruch der Nacht“. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel, Aufbau Verlag, Berlin 2000, 336 Seiten, 36 MarkJean-Claude Izzo: „Chourmo“. Aus dem Französischen von Katarina Grän und Ronald Voullié. Unionsverlag, Zürich 2000, 269 Seiten, 16,90 Mark
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