: Augen auf beim Tütentausch
Discountliebe: Marie Ventoux’ „Rien à faire“ mit Valeria Bruni Tedesci in der Hauptrolle
Zum Singlewissen 2000 gehört noch immer die Annahme, mit der Partnersuche beginne man am besten im Supermarkt. Über Tütensuppen und Tampons kommt man sich näher, und wenn frau dann noch einem Typen wie Pierre begegnet, ist es um sie geschehen. Der schöne Mann kennt die durchschnittliche Dauer der Kaufentscheidung für eine Dose Eierravioli, er weiß, dass sie diese Musik spielen, weil sie blöd macht. Denn er war mal auf der anderen Seite. In der Chefetage der Keksfabrik, in der Marie-Do am Band stand, war er für die Produktlinie zuständig.
Sie haben sich dort nie gesehen, wie auch, sie speisten in getrennten Kantinen, und in dieser Feststellung liegt die Konsequenz von „Rien à faire“: Nicht der Betrieb, sondern der Supermarkt ist der Knotenpunkt kapitalistischer Kommunikation. Hier, unter Gleichen, wird sie überhaupt erst möglich. „Hey, dich kenn ich doch vom Arbeitsamt“, war allerdings das Letzte, was Pierre hören wollte. Wäre er nicht vor wenigen Wochen „freigestellt“ worden, wäre er gar nicht hier.
Dem Kadermenschen tut es weh, auf einer Stufe zu stehen mit Marie-Do, der prototypischen Hausfrau, die seit vierzehn Monaten arbeitslos ist, ohne daran zugrunde zu gehen. Die glücklich ist mit ihren Horoskopen und Quizsendungen im Fernsehen. Er verliebt sich in sie, obwohl er nichts mit ihr gemein hat, und obwohl sie beide keine Singles sind. Was macht das schon, wenn man Zeit hat.
Innerhalb der Koordinaten Geld, Liebe, Arbeit bewegt sich „Rien à faire“ souverän genug, ums uns nicht das Märchen von den glücklichen Arbeitslosen aufzutischen. Man ahnt, was passiert, wenn Pierre endlich seine neue Stelle bekommt. Aber neue Perspektiven sind erlaubt. Warum nicht Liebe machen, wenn alle anderen zur Arbeit gehen?
Man merkt bald, dass es einen Haken gibt bei der Sache: Marie-Dos Arbeitslosigkeit ist optional, während seine eine Überlebensfrage darstellt. Ohne materielle Notwendigkeit – im Gegensatz zu Marie-Dos Mann verdient Pierres Frau genug Geld – zelebriert der Film Pierres Pflicht und Privileg, Mann zu sein. Nur ausnahmsweise staubsaugen zu müssen, in der für ihn perversen Situation Arbeitslosigkeit. Als Spiegelung familiärer Realitäten könnte das durchgehen, wenn diese Rolle nicht so demonstrativ an seine geistige Überlegenheit gekoppelt wäre. Das ist schade, gerade weil der Film und seine glänzenden Darsteller in der Reflexion des Alltags Erstaunliches leisten. Als die beiden einmal ihre Tüten vertauschen, wird klar, dass auch im Supermarkt nicht alle gleich sind. Nein, entgegen der Vermutung ihres Mannes hat Marie-Do nicht im Lotto gewonnen. Und Pierres Frau weiß sehr genau, dass ihr Mann nicht diesen eingeschweißten Müll essen wollte. Ein Tip also für Singles: Augen auf beim Tütentausch. PHILIPP BÜHLER
„Rien à faire“. Regie: Marion Vernoux. Mit Valeria Bruni Tedeschi, Patrick dell’Isola u. a., F 2000. Im fsk, Segitzdamm 2, Kreuzberg
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