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Im Schutz der Schönheit

Sind Behinderungen ästhetisch darstellbar? Das Dresdner Hygiene-Museum zeigt Fotografien vom „(im)-perfekten Menschen“ und verwirrt mit erotischen Abbildungen amputierter Glieder ganz nebenbei die Grenzen zwischen Attraktivität und Abscheu

von SUSANNE KATZORKE

Der kleine Junge, der vor seinem Bett kniet und betet, hat keine Hände. Seine Arme münden in dilettantisch aussehenden Prothesen. Die Finger lassen sich nicht ineinander verschränken und so erinnern die Hände des Jungen an die der Holzfigur Pinocchio. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein sehr kitschiges Bild aus den Sechzigerjahren, entpuppt sich als Fotobild von Gottfried Helnwein, das sehr leise ist und doch schockierend.

Der Schock ist gewollt. Helnweins Foto gehört zur Ausstellung „Bilder, die noch fehlten – zeitgenössische Fotografie“, die im Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu sehen ist. Sie ist eine Art Preview zur großen Sonderausstellung „Der (im)-perfekte Mensch“, die am 19. Dezember eröffnet. Die Fotos bilden behinderte Menschen in allen Lebenslagen, aus allen Perspektiven ab. Während die Arbeiten des Bonner Künstlers Michael Bause mit dem Titel „Utopia 0-8-15“ eine Wunschwelt zeigen, in der Behinderte Nachrichtensprecher, Polizisten oder Staatsanwälte sind, inszenieren Sibylle Bergemann (Berlin) und Herlinde Koelbl (München) ihre Models in künstlichen Posen und Verkleidungen, die das Klischee Lügen strafen, nur perfekte Körper und Gesichter seien schön. Rasso Bruckerts Aktfotografien schließlich schaffen es, den Makel zu einer Voraussetzung der vollkommenen Ästhetik werden zu lassen.

Doch nicht immer wird es dem Betrachter so leicht gemacht. Die Ausstellung hat auch laute, provozierende Bilder aufzuweisen. Die Beiträge des Berliner Fotografen Daniel Josefsohn „3 feet high and rising“ zeigen zwei verkrüppelte Frauen, deren exhibitionistische Selbstdarstellung dem Betrachter keine Möglichkeit lässt, den Blick vom „Anders-Sein“ der beiden abzuwenden. An ihren körperlichen Gebrechen wird nichts verdeckt, nichts geschönt. Anders und doch genauso intensiv die Bilder von Uwe Düttmann (Hamburg) und Kai Zastrow: Ihre fast schon pornographischen Inszenierungen sind deshalb so unangenehm, weil sie den Besucher dazu zwingen, sich seinen Wunsch nach perfekten Körpern einzugestehen. In dieser Erwartung wirkt der nackte Mann, der nach einer Beinamputation nur noch einen Stumpf hat, auf dem großen prunkvollen Bett hinter der sehr blonden, sehr vollkommenen Frau irgendwie deplatziert. Der Mangel wird hier nicht diskret kaschiert oder geschickt in Szene gesetzt, er ist einfach da, auch wenn er hässlich erscheint.

Nicht fehlen dürfen in einer solchen Ausstellung die Bilder des Londoners Nick Knight. Er war der Erste, der 1998 glamouröse Modefotos mit Models machte, den Gliedmaßen fehlten. Seine Aufnahmen rücken in ihrer unerbittlichen Künstlichkeit die behinderten Menschen in die Nähe antiker Helden- und Göttertorsi in den Museen. Diese „Musealiserung des Wirklichen“ (Hermann Lübbe) stellt den gewohnten Blick „normaler“ auf behinderte Menschen in Frage. Mit diesem Arbeiten löste Knight eine Sensation aus und gab gleichzeitig den Anstoß für das Projekt „Der imperfekte Mensch – Bilder, die noch fehlten“.

Die Ausstellung der Kuratoren Gabriele Honnef-Harling und Klaus Honnef will die fotografischen Möglichkeiten ausloten, neue Sichtweisen auf Menschen mit Behinderungen zu eröffnen – und das gelingt ihr auch. Die Bilder wecken nicht Mitleid, sondern Interesse und die Einsicht, dass Normalität nicht abhängig von einem unversehrten Körper ist.

Behinderte Menschen und ihre Umwelt sind allerdings nicht nur Gegenstand der Fotografie, sondern oft auch selbst Produzenten. Rasso Bruckert, selbst Rollstuhlfahrer, ist Experte dessen, was seine Aufnahmen darstellen. Das macht es ihm möglich, sich von der kommerziellen Beauty-Ästhetik normaler Fotografie zu entfernen. Noch faszinierender sind allerdings die Arbeiten des blinden Pariser Konzeptkünstlers Evgen Bavcar. In seiner Reihe „Traum der Sonne“ setzt er sich mit den Sonnenblumen van Goghs auseinander. In seiner Erklärung spiegelt sich die Umkehr der Rollen wider – nicht nur von Unversehrtheit als Grundlage der Schönheit: „Nur die Blinden und die Sonnenblumen können sich direkt der Sonne zuwenden, andere Blumen verbrennen unter der Sonne, andere Menschen brauchen schützende Sonnebrillen. Meine Fotos zeigen einen Teil meiner Geschichte, denn auch ich habe als Kind, als ich noch mein Augenlicht hatte, Sonnenblumen gesehen. Es war eine Zeit, als ich noch nicht blind war, noch nicht in das Sonnenlicht sehen konnte. Jetzt sind die Rollen umgedreht.“

Bis 8. 10., Deutsches Hygiene-Museum, Dresden. Der Katalog ist im Hatje Cantz Verlag erschienen und kostet 48 DM (im Buchhandel).

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