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Das Selbsterfahrungsgruppenmassaker

■ Neu im Kino: Die Farce „Die totale Therapie“ von Christian Frosch ist ein Erfolg für den Neubauten-Sänger Blixa Bargeld, die tödliche Hedwig und die ZuschauerInnen

Endlich mal ein Film mit einem perfekten Titel. Christian Froschs „Die totale Therapie“ beschreibt mit einer radikalen, boshaften und extrem komischen Konsequenz: eine totale Therapie! Zuerst glaubt man allerdings eher, an einen totalitären Therapeuten geraten zu sein, wenn man sieht, wie der Psychoguru Dr. Roman Romeros bei seinem zweiwöchigen Shirvia-Selbsterfahrungskurs mit den neun LuxuspatientInnen umgeht.

Die sind auf seinen abgelegenen Hof gekommen, um ihre Malaisen wie Eheprobleme, Karriereknicks oder Bindungsunfähigkeit mittels Rebirthing, Tree-Hugging oder Aggressionstraining zu kurieren. Der Therapeut und seine zwei Assistenten brechen mit rhetorischen und mentalen Tricks schnell alle Widerstände der KursteilnehmerInnen, und lange scheint es so, als würden alle vor ihm kuschen und mit ihren Problemen vor sich hin brodeln.

Dieser erste Teil des Films ist eine genau beobachtete Satire auf die Psychotherapie, und der österreichische Regisseur Christian Frosch weiß offensichtlich genau, wovon er da erzählt. Die SchauspielerInnen sind jeweils mit einer detailgenau beobachteten Neurose oder Psychose ausgestattet und spielen ihre Rollen auch so überzeugend, dass man sich oft fragt, ob der Regisseur sie hier nicht tatsächlich einer gefilmten Therapie unterzogen hat. Bei dem Therapeuten hat man dagegen zuerst den Verdacht, er wäre bloß ein geschäftstüchtiger Scharlatan. Aber bei den Therapiesitzungen merkt man schnell, dass er seine Arbeit durchaus gut macht. Er durchschaut und manipuliert die meisten KursteilnehmerInnen virtuos.

Die größte Überraschung des Films ist wohl, dass Blixa Bargeld, der Sänger der Avantgarderockgruppe „Einstürzende Neubauten“, diesen Psychoguru so souverän und glaubwürdig spielt. Bei einigen längeren Dialogen merkt man, dass ihm das schauspielerische Handwerkszeug fehlt, aber bei den improvisierten Gruppenszenen hat er eine ganz erstaunliche charismatische Präsenz. Filmisch hat Christian Frosch diese erste Therapiewoche im bemüht kunstlosen „Dogma“-Stil mit wackeliger Handkamera und einem zum Teil chaotischen Stimmgewirr inszeniert. Doch wenn dieser Pseudorealismus zu nerven beginnt, wechselt der Film plötzlich seinen Stil, seine Stimmung und sein Tempo.

Dr. Romero ist nämlich doch nicht so allwissend, wie es lange schien, und bei der schweigsamen, fast autistischen Hedwig hat er sich böse verrechnet, so dass diese sich selber dadurch von ihrer Messerphobie heilt, dass sie Romero kurzerhand ersticht. Da fließt zum ers-ten Mal in diesem Film kräftig das Kinoblut, und dabei bleibt es nicht, denn von nun an befinden wir uns in einem Splattermovie.

Durch den ersten Mord sind alle PatientInnen und Therapeuten so aus der Bahn geworfen, dass ihre Probleme sich jeweils bis zum tödlichen Ende verselbständigen. Alles wird hier mit einer grotesken Folgerichtigkeit zu Ende gedacht, die intensivste Selbsterfahrung ist der Tod. Aber auch wenn der Film stilistisch scheinbar ins Trivialgenre abgleitet, bleiben sein Witz und seine subversive Bosheit doch auf einer Höhe, die ihn auch zu einem intellektuellen Vergnügen machen.

Solche bitterbösen Komödien, solche Mischungen aus Hysterie, Tod und Schmäh kriegen halt nur die Österreicher hin. Als geheilt und einzige Überlebende wird übrigens schließlich die tödliche Hedwig aus dem Film entlassen. Für sie und für uns ZuschauerInnen war „Die totale Therapie“ ein Erfolg.

Wilfried Hippen

Filmstudio täglich um 22 Uhr, am Montag und Dienstag jedoch erst um 23 Uhr

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