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Gerne großsprecherisch

Die Anthologie „Morgenland“ versammelt Autoren, denen nur eins gemeinsam ist: Sie oder ihre Eltern sind eingewandert. Eine Programmatik verbindet sie, trotz gegenteiliger Behauptung, nicht

Der Blick vom Rand sieht zwar nicht mehr, ist aber oft intensiver als der aus der Mitte

von DETLEF KUHLBRODT

Es gibt so einen Hang, literarische Angelegenheiten zu politisieren oder auch nur verschiedene Stile und Schreibweisen als gegeneinander gerichtet zu begreifen. Saturierte Literatur steht dann gegen junge Literatur, Surfpoeten und dergleichen, Fräuleinwunders wenden sich gegen männliche Popliteraten, und mit dem Etikett Kanakenliteratur versuchen Kinder von Einwanderern, gegen alle möglichen Glattheiten ihrer nurdeutschen Altersgenossen zu opponieren.

Mal agressiv, mal eher schüchtern. Im Nachwort der Anthologie „Morgenland“ mit 26 Texten unterschiedlichster haupt- oder nebenamtlicher Literaten, deren Gemeinsamkeit darin besteht, dass ihre Eltern nicht aus Deutschland stammen, schreibt der vor allem für die FR tätige Jamal Tuschick, die Texte sollten Beleg dafür sein, „dass die deutsche Literatur an den ethnischen Rändern der Gesellschaft intensiv befruchtet wird“, und dass „das Glück der späten Geburt den Begünstigten nicht zuletzt die intellektuellen Krämpfe ihrer Vorgänger aus der Migrantenautoren-Generation“ ersparen würde, „die ihre Publikationszusammenhänge noch in einer auf Lebenshilfe ausgerichteten ‚Ausländerkultur‘ suchen mussten.“ Dass einem sofort AutorInnen einfallen, die schon lange schreiben und alles andere als verkrampfte Literatur gemacht haben – Emine Sevgi Özdamar oder Françoise Cactus zum Beispiel –, und dass die hier vertretenen Autoren aus den unterschiedlichsten, nur schwer miteinander zu vergleichenden Verhältnissen kommen, spricht nicht gegen Tuschicks Satz.

Der in Kollaboration mit Feridun Zaimoglu, dem aus Anatolien stammenden Kieler Erfinder von „Kanak Attak“, entstandene Einleitungstext gibt sich unter dem Titel „Ihr habt Angst vor unserem Sperma“ etwas agressiver. In eine schöne Schimpfkanonade steigert sich der Hamburger Vito Avantario, dessen Eltern aus Italien kamen: „so dümmlich und ärmlich und schlechterzogen wie du ist keine andere menschenkreatur in der westlichen bonzenwelt“, und es vergehe kein Tag, „an dem du nicht immer und immer wieder bestätigst, was du für ein scham- und würdeloses und gefühlsverarmtes stück menschenfleisch du bist gegenüber deinen dreckwegarbeitern“. Und: „friß nun endlich den kulturwildwuchs, den du gesät hast.“

Wer sich noch einen Funken linken Restverstand bewahrt hat, hört das natürlich nicht ungern, gerade auch, weil einem die Deutschlandschelte deutscher Autoren häufig auf den Sack geht, blendet sie doch immer so gern aus, dass sie selbst Teil dessen ist, was sie beschimpft. Andererseits macht es aber auch immer ein bisschen misstrauisch, wenn sich jemand, der „in Andria, Tokio, Sao Paulo und New York“ lebte, so großsprecherisch an die Seite der erniedrigten und ausgebeuteten Migranten stellt, für die er zu sprechen meint.

Es ist ein großer Unsinn, von literarischen Texten Gerechtigkeit und Ausgewogenheit zu verlangen. Das Überzogene, die Polemik, die sich an sich selbst erfreut, ist oft produktiver, geht allerdings auch manchmal etwas daneben. Ohne auch nur einen einzigen Autor zu nennen, denunziert Maxim Biller die gesamte deutsche Gegenwartsliteratur als blass und reizlos und behauptet, dass sie geschichtslos sei, dass es sich um eine Schlussstrichliteratur handeln würde, dass Nationalsozialismus und Auschwitz nicht vorkämen. Mit dem pathetischen Satz: „Wir“ – also deutsche und jüdische Literaten – „werden auf immer geschiedene Leute sein“, endet sein Text, der in seiner Allgemeinheit ziemlich posenhaft wirkt.

Die meisten Texte der Anthologie sind allerdings eher literarisch. Es gibt schöne Rauschgeschichten mit nächtlich-nassglitzernden Straßen, Frauen und allem, was an Chaotik so dazugehört. Es gibt lustig-spannende Alltagskrimis und fein gedrechselte, ausgedachte Prosa von der Bachmannpreisträgerin Terézia Mora. In mehreren Geschichten wird auch viel Hasch geraucht.

Einiges erinnert an Beatnikprosa: der existenzielle Gestus mancher Texte, der joycesche Stream of Consciousness bei Zaimoglu, der Blick vom Rand, der zwar nicht unbedingt mehr sieht, aber doch oft intensiver ist als der aus der Mitte der Gesellschaft. Anderes klingt nicht anders als anderes. Gern würde man – mit den Stichwörtern „kleine Literatur“ (Deleuze) oder marginalisierte Literaten – den Texten eine Programmatik unterstellen. Geht nur nicht. Zu unterschiedlich sind die Autoren.

Jamal Tuschik (Hrsg.): „Morgenland –Neueste deutsche Literatur“. Fischer Verlag, Frankfurt/M., 310 S., 19,90 DM

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