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Pioniere im Nachkriegsdeutschland

■ 15 Jahre nach Kriegsende entstand die Lebenshilfe. Jetzt feiert sie 40-jähriges Bestehen

Die Gründung der „Lebenshilfe“ war in den 60er Jahren ein his-torischer Neuanfang – nach der Euthanasie im Nationalsozialismus, der wenige geistig Behinderte entkamen. „Behinderung wurde auch nach 1945 noch lange als großer Makel angesehen“, erinnerte jetzt Andreas Hoops, Geschäftsführer, anlässlich des 40. Jubiläums der Bremer Lebenshilfe in dieser Woche. Erst 15 Jahre nach Kriegsende entstanden die ersten Elternvereine der Lebenshilfe, die heute einer der größten bremischen Träger von betreuten Wohneinrichtungen für geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen ist. Über die erste Zeit der Lebenshilfe sprach die taz mit Bettina Hausmann (70), der ersten Sozialpädagogin der Bremer Lebenshilfe.

taz: Wie erinnern Sie die Anfangszeit der Lebenshilfe?

Bettina Hausmann: Ich kam Ende 1960 als Sozialpädagogin nach Bremen, wo sich die Lebenshilfe als eine der ersten Elterninitiativen bundesweit gegründet hatte. Schon im Februar 1961 fand hier eine internationale Tagung mit Referenten aus Holland und der Schweiz statt. Es war ja Neuland, echte Pionierarbeit für uns.

War Ihnen als Berufsanfängerin ganz klar, dass Sie selbst zu den Pionierinnen gehörten?

Ja, unbedingt. Ich bin 1930 geboren und habe sehr bewusst miterlebt, dass es durch die Euthanasie keine alten geistig Behinderten gab. Damals war die Aufgabe der Lebenshilfe ja, erstmals Förderung und Bildung bereitzustellen.

Wie begegnete die deutsche Durchschnittsbevölkerung damals Behinderten – und Ihnen?

Ganz unterschiedlich. Es gab Leute, die uns bewunderten, und sagten: „Wie viel Kraft und Geduld Sie für Ihre Arbeit aufbringen.“ Aber immer wieder sind uns auch Menschen begegnet, die gesagt haben: „Die müsste man nicht am Leben erhalten.“ Wer in der Arbeit steht, erlebt jedoch sehr schnell die Lebensfreude der Behinderten. Das sind ja keine armen Menschen, wie die Außenstehenden in ihrer Einfalt denken, mit denen wir aber bewusst den Kontakt gesucht haben – bei unseren Ausflügen oder im Alltag. Unsere Kinder sollten ja lernen, mit allem zurechtzukommen. Dabei hatten wir Pädagogen es sicher leichter als Eltern. Wir konnten sachlich auf – wie man heute sagt – Anmache reagieren.

Wie war die Situation für die

erste Nachkriegsgeneration von Eltern, deren Kinder bei Ihnen heranwuchsen?

Das Thema der Euthanasie ist bei uns nicht aufgetaucht. Die Kinder sind meist sehr behütet aufgewachsen, von Eltern und Ge-schwistern sehr liebevoll aufgenommen worden. Ich weiß das, weil die Eltern in den Anfängen der Lebenshilfe ja sehr mithalfen. Die Eltern allerdings waren sehr verwundbar. Ich musste erst ihr Zutrauen gewinnen. Sie hatten ja erlebt, dass ihre Kinder entweder gar nicht eingeschult oder sehr bald wieder ausgeschult worden waren. Man hatte ihnen gesagt: „Ihre Kinder können nichts lernen“. Mit diesem Urteil lebten sie bis wir kamen und sagten: „Doch. Ihre Kinder können etwas lernen.“ Als wir am 1. Juni 1961 mit sieben Kindern anfingen, war es für die Eltern, glaube ich, das Wichtigste, dass sie auf jemanden trafen, der nicht mit mitleidigem Lächeln oder gut gemeinten Ratschlägen kam, sondern ganz reell wie bei den anderen Kindern auch sagte: „Versuchen Sie dies, machen Sie das und Ihr Kind schafft es.“ Über Euthanasie haben wir nicht gesprochen.

Wie ging das damals praktisch los?

Mit nichts. Der Vater eines behinderten Jungen lief damals von Behörde zu Behörde und bekam zu hören: „Wo sind denn die Behinderten, von denen Sie sprechen?“ Schließlich gab uns das Gesundheitsamt sieben Adressen geistig behinderter Kinder, mit denen ich anfing. Der Leiter des Jugendheims Alt-Aumund stellte einen Raum zur Verfügung – unter der Bedingung, dass wir ihn mittags so hinterlassen, wie er vorher ausgesehen hatte. Ich brachte selbst einen Schrank mit, in den alles hineinkam. Nichts durfte hängen bleiben. Materialien oder Lehrbücher gab es nicht. Aber die Eltern, ich muss sagen, die Eltern waren großartig. Die haben so mitgeholfen.

Was war das Ziel Ihrer Arbeit?

Ich wusste, unsere Kinder würden später in den Martinshof gehen, um zu arbeiten. Sie sollten manuell geschickter werden, lernen, mit Material umzugehen, in einer Gruppe zu leben – aber vor allem mussten sie Selbstwertgefühl entwickeln.

Was geschah damals mit schwerer behinderten Kindern?

Die saßen in den ersten Jahren weiter zu Hause.

Fragen: Eva Rhode

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