Zehn Jahre nach dem Einheiz-Schock

■ Vor zehn Jahren waren die Rollen noch klar verteilt: Anti-Einheits-Demonstranten schmissen Molotow-Coctails gegen die CDU-Feier, eine Roma-Familie wurde nach Jugoslawien abgeschoben

Wem gehört die Einheit? Dem Partyvolk, das am Montag abend im „Moments“ von DJ Chistian Cornejo geführt „Salsa für die deutsche Einheit“ tanzte? Den 800 CDU-Mitgliedern und -Sympathisanten, die, getrennt nach Alter, in zwei Sälen des Bremer Park-Hotels entweder kleinen Mädchen vom Sportverein 1860 Bremen bei ihrer rhythmischen Sportgymnasik zuschauten oder im schicken Hennes & Mauritz-Fummel zu Santana tanzten? Den Lehrern und Schülern, die den 3. Oktober einfach einmal zum Ausschlafen nutzten? Nachdem die CDU der SPD ordentlich eingeschenkt hat für die historische Zukunftseinschätzung einigt man sich jetzt auf den Slogan: „Die Einheit gehört allen“. Zum Gedenktag wurde nicht der belegte 9. November auserkoren, sondern, auf Wunsch des Kanzlers, der 3. Oktober, damit Feierlaune aufkommen darf.

Vor zehn Jahren, am 3. Oktober 1990, war die Einheit in Bremen noch nicht in das Feiertags-Organigramm integriert. Am 30. September, einem Sonntag, versammelten sich 1.700 Demonstranten auf dem Ziegenmarkt im Viertel zu einer „Anti-Einheits–Demonstration“ und zogen später Richtung Buntentor. „Alle, die irgendwie linksradikal tätig sind“, hätten sich da versammelt, sagte einer der Organisatoren damals zur taz: Antifa-Café und Uni-AStA, PDS und das „Waller Frauen- und Lesben-Plenum“. Die Gründe mitzulaufen waren „vielfältig“ und kaum zu fassen: ein Unwohlsein mit der staatlich verordneten Jubelfeier aus meist persönlichen Motiven. Der schwarze Block rief Parolen gegen Imperialismus und eine Hebamme marschierte mit, weil sie sieht, wie ihre Verwandten in der DDR mit der Einheit „nicht zurecht“ kommen. Eine Hochschullehrerin hatte „Sieg Heil“ Rufe am Dobben gehört und demonstrierte nun gegen „diese Vereinheitlichung und die Ausgrenzung, die wachsende Ausländerfeindlichkeit“.

Dienstagabend dann, wenige Stunden vor dem Feuerwerk, versammelten sich in der Vegesacker „Strandlust“ über 1.000 Einheitsgäste, um mit der CDU in den neuen Feiertag hineinzusingen. Drinnen war die Stimmung „gut“, erzählte ein CDU-Gast, draußen lieferten sich bis zu 300 Demonstranten Scharmützel mit der Polizei. Nachdem sich 30 von ihnen zu einer Sitzblockade vor dem Gebäude niedergelassen hatten und die Polizei daranging, den Platz zu räumen, flogen Steine. Schon vorher hatten die Demonstranten – „meist Jugendliche aus der autonomen Szene“ – ihr Transparent gereckt (“Wir scheißen auf Deutschland – Solidarität statt Nationalismus“) ein Feuer entzündet und einige Molotow-Cocktails auf die Veranda der „Strandlust“ geworfen, woraufhin die Veranda Feuer fing. Um 1.40 Uhr begannen die rund 100 Beamten, den Platz zu räumen. Bilanz des Abends: sieben verletzte Polizeibeamte und mindestens vier verletzte Demonstranten, neun Festnahmen wegen Körperverletzung und Landfriedensbruch, acht beschädigte Polizeiautos und ein Sachschaden von rund 50.000 Mark. Gegen drei Uhr morgens war wieder Ruhe in Vegesack.

Zeitgleich hatten sich 40 bis 50 Autonome zu einer Sitzblockade auf der Sielwallkreuzung im Viertel niedergelassen. Mit Sperrmüll-Resten wurde ein „Einheiz-Feuer“ in der Mitte der Kreuzung entzündet, das so hoch schlug, dass die BSAG den Strom in den Oberleitungen ausschalten musste. Als die Demonstranten ein Auto attackierten, schritt die Polizei ein. Gegen 1.30 Uhr hatten sich auch an der Sielwallkreuzung rund 300 Schaulustige und Autonome eingefunden. Einige Stunden später löschte die Feuerwehr den Rest des Feuers.

In Bremerhaven klingelte es wenig später, um 8.30 Uhr am 3. Oktober 1990, an der Tür der Famile Ademoski, berichtete die taz. Die fünfköpfige Roma-Familie wurde nach Skopje im Süden Jugoslawiens abgeschoben, nachdem ihre Bemühungen für ein Aufenthaltsrecht erfolglos geblieben war. Der Grüne Michael Frost sagte dazu: „Mit diesem Termin für die Abschiebung hat der Magistrat ein deutliches Zeichen gesetzt, wie er sich die deutsche Zukunft vorstellt: ,zigeunerfrei'“. cd