: Zerschnittene Familienbande
■ Dogmatiker der ersten Stunde: Das Abaton zeigt begleitend zu Lars von Triers „Dancer in the Dark“ eine Woche lang Das Fest von Thomas Vinterberg
Lars von Trier ist kein Dogmatiker. Unschwer lässt sich das an dem derzeit laufenden Dancer in The Dark (2000) ablesen. Schließlich arbeitet von Trier, einer der Chefköpfe des Dogma 95, dort mit getrennter Tonspur, diversem Filmmaterial und nicht zuletzt mit absolut konsequent melodramatischem Genrekino. Das tut dem Film letztendlich keinen Abbruch, wohl aber jener großspurigen Geste, mit der das dänische Rittertrio Vinterberg, von Trier und Kragh-Jacobsen 1995 ihr filmisches Keuschheitsgelübde ablegten. Indem man den Mitteln des Erzählkinos abschwor, sollte sich eine filmische Attacken-Avantgarde etablieren: ein hehres Ziel, das selbstverständlich schon durch seine allzu große Ernsthaftigkeit als ironisches U-Boot dechiffriert werden konnte.
Nichtsdestotrotz drehte man zunächst getreu den Regeln, und das Debüt der selbsternannten Avantgarde gelangte unter dem Namen Das Fest -Dogma 1 (1997) in die Kinos. Dieser von Vinterberg inszenierte Film folgt auf das Genaueste den selbstauferlegten Dogma-Regeln, da hier – ohne technische Hilfsmittel wie Ausleuchtung oder Nachvertonung – nur die Handkamera benutzt wird. Doch nicht diese Regeltreue macht Das Fest so interessant. Vielmehr ist der Film deswegen ein derart überzeugendes Meisterstück, weil sich zwischen seinem Sujet und seiner Ästhetik eine unheimliche Korrespondenz etablierte. Denn Vinterberg bediente sich der Handkamera als Waffe, um entlang ihrer Aufzeichnungsmöglichkeiten selbst die leisesten Gesichtszuckungen und die subtilsten Gesten seiner ProtagonistInnen aufzunehmen.
Den blitzschnellen Richtungsänderungen ihres Blicks entgeht keine der psychologischen Bedingungen, entlang derer auf einer Geburtstagsfestivität ein ungleicher Kampf zwischen Vater und Sohn ausgetragen wird. Dem filmischen Material wird abverlangt, eine psychologische Wahrheit in seinen Bildern zu Tage treten zu lassen: Eine Zumutung, der sich traditionelles Kino oftmals gar nicht erst aussetzt, sondern lieber mit Ton, Schnitt, Farbe und Musik manipuliert.
Die Handkamera passt aber auch deswegen in die erzählte Familiengeschichte, weil sie sich mit ihrem fehlenden Film-Look dem Familien-Aufzeichnungsmedium Video annähert. Während jedoch die meisten Heimkino-Familienbilder eine Intimität aus dem Alltag herausschneidern, die möglicherweise nur auf dem Filmband existiert, werden in Das Fest alle auferlegten Familienbande zerschnitten. In einem Kräftemessen mit einer familialen Verdrängungsmaschinerie, die auch dann noch festlich speisen kann, wenn ihre Unerhörtheiten längst gesagt sind, gewinnt letztlich ein Anspruch auf persönliche Wahrheit. Und dieser Anspruch, vom sexuell missbrauchten Sohnmit einem schier unerträglichen Energieaufwand in Szene gesetzt, attackiert in Das Fest eine Normalität, die gerade deshalb so selbstsicher und erfolgreich ist, weil ihre Machtmechanismen oftmals entweder offene Zustimmung oder biederes Wegsehen erfahren.
Doro Wiese
Do, Fr, Mo, Di + Mi, 15.15 Uhr; Sa, 13.15 Uhr + So, 22.30 Uhr, DM 4,99 Special im Abaton
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