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Rechtfertigungen laufen ins Leere

betr.: „Barmherzigkeit oder Gesetz“ (Streitgespräch Huber/Schönbohm), taz vom 30. 9. 00

In dem abgedruckten Streitgespräch und auch schon in vorhergehenden Interviews scheint Herr Schönbohm eine Auffassung zu vertreten, die als juristischer Positivismus in die Philosophie bzw. in die Rechtsphilosophie eingegangen ist. Höchstes Ziel dieser Richtung ist es, sich an das im Normtext Gegebene zu halten, und als Innenminister anzuweisen, das im Gesetzestext Niedergelegte konsequent umzusetzen.

Raum für subjektives Ermessen, für Gerechtigkeit oder für Barmherzigkeit bleibt nicht. Herrn Schönbohms Ankündigung, sich persönlich mit einzelnen Fällen zu beschäftigen, wird ihn in nächster Zukunft als Subsumtionsautomat entlarven. [...]

Im übrigen ist die von Herrn Schönbohm mit aller Nachdrücklichkeit vertretene Auffassung schon seit 50 Jahren antiquiert. Gustav Radbruch war es, der die Formel prägte: „Wenn Unerträglichkeitsgrenzen erreicht sind, muss das Gesetz dem Recht weichen; das Gesetz ist dann Unrecht in Gesetzesform.“ Dieser Satz gehört zum Kernbereich der Rechtsphilosophie der Bundesrepublik, aber offenbar nicht zur Auffassung von Herrn Schönbohm. Denn das Ausländerrecht führt oft zu Härten und zu mangelndem Rechtsschutz [...].

Die Konsequenz zu ziehen, das Grundgesetz und den darin enthaltenen Schutz der Menschenwürde und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit heranzuziehen, schafft Herr Schönbohm nicht. Stattdessen verwickelt er sich in Rechtfertigungen, die allesamt ins Leere laufen. [...] TORSTEN DIRK, Dresden

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