: Berliner Buddhas
Von der ältesten buddhistischen Stelle Europas bis zum Dharma-Hopping: Berlin ist für fast zehntausend Gläubige ein Zentrum des Buddhismus
von INGRID GEGNER
Am Ende des Edelhofdamms in Frohnau steht ein lebensgroßer Buddha auf einem Hügel – die rechte Handfläche in glücksverheißender Geste nach vorne gedreht.
Vor der Statue steht ein Pärchen in gleichfarbigen Windjacken. Beide mit Rucksäcken, er mit Reiseführer. Berlin-Touristen, die es auf der Erkundung der ältesten buddhistischen Stelle Europas in den nördlichen Rand der Hauptstadt verschlagen hat. Kurze Zeit später sieht man die beiden an der Meditationshalle des Hauses vorbeischleichen. Da hängt ein Schild an der Türklinke: „Meditation. Bitte nicht stören“. Beeindruckt verlassen die beiden den verwilderten Garten mit Bändchen am Handgelenk, die ihnen von den dort lebenden Mönchen umgebunden wurden – ein Zeichen des Segens.
„Die könnten viel mehr mitnehmen“, ärgert sich Tissa Weeraratna, der Verwalter des Buddhistischen Hauses Frohnau. Die älteste buddhistische Stelle Europas verkommt zum Museum. Zu den Meditationen und Vorträgen kommen mal 10, mal 15 Leute, manchmal auch gar keine: Der Vortrag am letzten Sonntag fiel aus. „Keiner hatte Interesse“, sagt Weeraratna.
Dabei war doch der eigentliche Zweck des Hauses, das von Paul Dahlke 1924 errichtet wurde, den Buddhismus im Abendland bekannter zu machen. Linguisten hatten Mitte des 19. Jahrhunderts mit indogermanischen Texten den Dharma – die Lehre Buddhas – an die Universitäten gebracht. Er geriet in literarische Kreise. Zu der Zeit, als Hermann Hesse „Siddharta“ schrieb, traf man sich auch in Frohnau zu buddhistischen Gesprächsrunden. Nach dem Tod von Dahlke verkauften die Erben das Haus an die German Dharmaduta Society. 1957 holte die Gesellschaft der srilankanischen Theravada-Tradition zwei Mönche nach Berlin, die bis heute in dem Haus leben. Frohnau wurde zur Pilgerstätte.
Doch in den 80er-Jahren blieben die Pilger aus. Das 30.600 Quadratmeter große Gelände war in einen Dornröschenschlaf verfallen – das Geld aus der srilankanischen Heimat blieb aus. Im letzten Jahr erhielt Weeratna, Neffe des Mitbegründers und zu dieser Zeit Kaufmann in Sri Lanka, einen Anruf: „Retten Sie dieses Haus!“ Sofort zog der überzeugte Buddhist nach Frohnau. Den Mönchen auf dem Berg am Ende des Edelhofdamms war mit den Besuchern auch fließend warmes Wasser und Licht abhanden gekommen. „Ich musste erst mal neue Wasserleitungen legen“, sagt Weeratna.
Verlegt wurde außerdem eine ISDN-Leitung für die Erstellung einer Homepage, ein Bus mit der Aufschrift „Mögen alle Wesen glücklich sein. Buddhistisches Haus Frohnau“ wurde gekauft. Alles Vorbereitungen zur Wiederbelebung des Dharma. Weeraratnas Vorsatz: „Innerhalb von drei Jahren hole ich einen hoch verwirklichten Meister hierher.“
Einen solchen hatte die tibetische Karma-Kagyü-Tradition bereits am Sonntagabend zu Gast. Während die Wurzelstelle des europäischen Buddhismus aus dem Dornröschenschlaf gerade mal erwacht, strömten an die 1.000 Buddhisten zu Lama Ole Nydahl in die Hochschule der Künste am Bahnhof Zoo.
Der gebürtige Däne sprach über „Die Freiheit des Geistes“, trägt Bomberjacke und Armeehosen statt gelbe Röcke. „Er sitzt nicht im Kloster und sagt ab und zu Om“, erzählt Sonja Hemke, eine von 130 Berliner SchülerInnen des dänischen Lamas. Ihn könne man auch zu Partnerschaft und Beruf um Rat fragen. Ole Nydahl hat eine Frau und eine Freundin, von Monogamie hält er nichts, von Zölibat noch weniger. Sonja Hemke glaubt: „Er gibt Mittel, wie man als Buddhist nicht die Welt vermeiden muss, sondern mitten im Leben stehen kann.“
Nach dem ersten juristischen Staatsexamen jobt die 26-Jährige gerade bei Ebay, einem Anbieter von Auktionen im Internet. Eine Schülerin von Ole Nydahl ist sie seit sieben Jahren und reist mit ihm, wenn sie kann. Der 59-Jährige pilgert zweimal im Jahr um die Welt. Über 200 von ihm gegründete Meditationszentren gibt es mittlerweile, etwa die Hälfte der Buddhisten in Deutschland sind seine Schüler.
Ein anderer hoch verwirklichter Meister, der an diesem Wochenende in Berlin aktiv war, ist Seong-Do. Der koreanische Zen-Mönch, der seit drei Jahren in Kreuzberg lebt, lud statt zu einem zweistündigen Vortrag zum „Intensiv-Meditations-Wochenende“ in den Internationalen Zen-Tempel in der Oranienstraße. Intensiv, das heißt ein zweitägiger Rückzug zu 15 Stunden Meditation täglich, beim Sitzen, Gehen und Essen. Sprechen ist verboten. Sogar an der Toilettentür im „Tempel“, einer geräumigen Wohnung, steht auf Englisch und Koreanisch: „Damen. Don’t think“. Anfängern gewährte der Meister eine zweistündige Mittagspause. „Seong-Do ist schon ein strenger Lehrer“, gibt Hermann Rosendorfer, seit 20 Jahren Zen-Buddhist und bis vor zwei Wochen Präsident des Internationalen Zen-Tempels, zu. Deshalb werden wohl auch nicht 1.000, sondern nur 25 Teilnehmer erwartet.
In Berlin findet jeder Sinnsuchende seinen Weg und seinen Meister. Die Stromkästen der Stadt sind mit Lamas, Gurus und Meistern zugekleistert. Milde lächelnd, über das ganze Gesicht strahlend oder im vollen Lotussitz zur Schau meditierend, verheißen sie die „Kunst, glücklich zu sein“, beherrschen das „Lächeln der Seele“, bieten Meditationen des Schweigens, Mantra-Gesänge und Bußrituale des großen Erbarmens an.
Über 40 buddhistische Gruppen und Zentren gibt es in Berlin, die Zahl der Leute, die sich der Erfahrungsreligion nahe fühlen oder sie praktizieren, wird auf 5.000 bis 10.000 geschätzt. Sie kommen aus verschiedensten Traditionen, meditieren alleine oder auch in Gruppen von 100 Leuten. Einige suchen durch Mantra-Gesänge den Kontakt zu den Buddhas, andere wiederum üben sich im stundenlangen stillen Sitzen. Manche springen auch von Methode zu Methode. „Dharma-Hopping“ nennt dieses Phänomen Ilona Just. Sie bietet zur Orientierung im spirituellen Großstadtdschungel den „Buddhistischen Runden Tisch“ an, eine Gesprächsrunde für Interessierte. „Manche kommen, weil nichts im Fernsehen ist.“ Just selbst praktiziert in der Amida-Tradition, eine japanische Schule, die sich auf das Versprechen des Buddha Amida bezieht: Er werde nicht ins Nirwana eingehen, bevor er nicht alle Wesen befreit hat. Doch auch in ihrer Tradition passiert nichts von selbst. „Mit dem Geist arbeiten müssen sie schon alleine“, sagt Just. Viele vermeintlichen Sinnsucher verschwinden deshalb schnell wieder aus der buddhistischen Szene. Doch manche bleiben auch. Und nach ein paar Jahren sehe man bei denen „eine Klarheit aus den Augen strahlen, die vorher nicht da war“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen