Hauptsache Exporte, Rest egal

In den Freihandelszonen Zentralamerikas wird für große Textilfirmen produziert. Offiziell müssen Arbeiterrechte eingehalten werden. Doch Stichproben sind eine Farce

SAN SALVADOR taz ■ Charles Kernaghan ist in Zentralamerika ein gefürchteter Mann. Nicaraguas Präsident Arnoldo Aleman hat ihn zur unerwünschten Person erklärt und lässt ihn nicht mehr einreisen. Immer, wenn er auf Kurzbesuch nach Honduras oder El Salvador kommt, wird er in der überwiegend rechten Presse zum Staatsfeind Nummer eins hochstilisiert: Dieser Mann wolle die Wirtschaft Zentralamerikas in den Ruin treiben.

Kernaghan ist Vorsitzender des US-amerikanischen „National Labor Commitee“ (NLC), einer vorwiegend von Kirchen getragenen Nichtregierungsorganisation. Seit Jahren kümmert er sich um die Arbeitsbedingungen in Billigproduktionsstätten, den „Schwitzbuden“ Zentralamerikas. Er war einer der Ersten, der anprangerte, dass in diesen Maquilas genannten Nähereien Rechte von Arbeiterinnen nichts wert sind. Er hat internationale Kampagnen losgetreten und damit Firmen wie der US-Handelskette GAP Millionenschäden zugefügt. Mit dem Ergebnis, dass GAP heute etwas sensibler reagiert, wenn es um die Auftragsvergabe an Subunternehmen in Zentralamerika geht.

In den vergangenen Wochen war Kernaghan wieder unterwegs, und die Regierungen zitterten mehr als bei sonstigen Reisen. Denn die US-Regierung wollte neu entscheiden, welche Länder im Rahmen der „Initiative für das karibische Becken“ Vorzugsbedingungen für den Export von Textilien bekommen: Zollfreiheit für Kleidung aus US-Stoffen, die in Zentralamerika und der Karibik genäht wurden. Und Zollfreiheit für insgesamt 250 Millionen Quadratmeter Unterwäsche und 50 Millionen T-Shirts aus eigener Produktion, die nach einem Quotensystem an 24 Länder verteilt werden. Allerdings: Diese Vorzugsbehandlung ist an die Bedingung geknüpft, dass das Arbeitsrecht respektiert werden muss.

Diese Bedingung brachte den salvadorianischen Arbeitsminister Jorge Nieto ins Schwitzen. Aus seinem Ministerium war nämlich kurz vor dem Kernaghan-Besuch versehentlich ein Bericht an die Öffentlichkeit gelangt. Darin steht nun schwarz auf weiß, was zwar ohnehin alle schon wussten, worüber aber nicht gesprochen werden soll: Unbezahlte Überstunden, keine Abgaben an die Sozialversicherung, unhygienische Zustände, Prügel, sexuelle Übergriffe – all das ist üblich in Maquilas. Der Durchschnittslohn für so eine Arbeit entspricht exakt dem gesetzlich vorgeschriebenen Minimum von umgerechnet 315 Mark im Monat. „Ich habe den Inhalt dieses Berichts nicht gekannt“, entschuldigte sich Nieto. „Er hätte nie an die Öffentlichkeit dringen dürfen.“ Doch es war schon zu spät: Nach einem Gespräch mit Kernaghan kündigte US-Botschafterin Rose Likins an, sie werde noch vor der Entscheidung über die Vorzugsbehandlung höchstpersönlich ein paar Maquilas inspizieren.

Maquila-Besitzer aus den USA, Südkorea und Taiwan drohten in Zeitungsanzeigen damit, ihre Zelte einfach abzubrechen und in ein anderes Billiglohnland auszuweichen. Maquilas können schnell verschwinden. Fabrikhallen und Nähmaschinen sind von den Besitzern in aller Regel nur gemietet. Die Erfahrung zeigt: Eine Nacht reicht, und ein Betrieb ist dicht.

Genauso zackig sind die Auftraggeber. Gerät ihr Markenname wegen Rechtsverstößen in den Schwitzbuden in Verruf, drängen sie nicht etwa auf bessere Arbeitsbedingungen. Sie suchen sich einfach eine neue Maquila. Adidas hat im September seine Zusammenarbeit mit der salvadorianischen Maquila Formosa eingestellt, nachdem im deutschen Fernsehmagazin „Monitor“ die Arbeitsbedingungen in der Schwitzbude kritisiert worden waren. Die salvadorianische Regierung jammerte also sowieso schon um 73.000 Arbeitsplätze und angeblich 45,2 Prozent ihrer Exporte. Die letzte Zahl ist allerdings geflunkert: Berechnet man die Maquila-Exporte auf der Basis der salvadorianischen Wertschöpfung, so machen sie nur 5,5 Prozent der Gesamtexporte aus. Denn 87 Prozent der Exporterlöse müssen vorher für den Import von Stoffen und Fäden ausgegeben werden. Für den Staat bleibt dabei so gut wie gar nichts hängen. Die meisten Maquilas operieren in zoll- und steuerfreien Enklaven.

So wird es auch bleiben. Denn natürlich hat die US-Botschafterin bei ihren Maquila-Besuchen nichts Schlimmes gesehen. Das Handelsministerium in Washington hat sich vom peinlicherweise an die Öffentlichkeit gedrungenen Bericht des Arbeitsministeriums nicht beeindrucken lassen. El Salvador bleibt Teil der „Initiative für das karibische Becken“. Das Land bekam mit 19 Prozent nach Honduras (25 Prozent) die zweithöchste Quote für zollfreie Exporte in die USA. Und Präsident Francisco Flores kündigte tags darauf an, er werde vier weitere zoll- und steuerfreie Produktionszonen einrichten. TONI KEPPELER

Zitat:„Sexuelle Übergriffe sind üblich in Maquilas“