: Kein Schnauf, kein Vibrieren
William ist tot. Sein kurzer Rüssel bewegt sich nicht mehr. Nachruf auf einen Staubsauger
Unser Staubsauger William ist tot oder zumindest in ein tiefes Koma gefallen. William hatte einen rechteckigen kieselgrauen Rumpf mit einem kurzen Rüssel. Statt des metallenen Rüsselrohrs bewegt sich nun eine gedrungene blaue Saugkatze durch unsere Zimmer. Es passiert nicht zu oft.
Williams Kadaver wird schamhaft hinter dem Flurvorhang versteckt, sein Beutel – der ausgestülpte Magen eines Dienstboten – hängt halb heraus, die Gummidichtung, eine anderer Teil seines Gedärms, wird nur noch von einer Schraube am Rahmen gehalten. William steht in der Nische neben der Küchentür, wo die Plastiktüten nach Bier riechen und überquellen. Dort wartet William auf sein endgültiges Ende.
Ich weiß nicht, was wir falsch gemacht haben. Eines Tages hatte ich ihn wieder einmal hervorgezogen und mit ihm den Flur von Dreck entsetzt. Er wirkte ein wenig astmathisch, und ich wollte ihm nicht auch noch mein Arbeitszimmer zumuten. Deswegen ließ ich ihn, damit er sich ausruhte, ein paar Tage an meine Tür gelehnt stehen. Es ging ihm eigentlich dort ganz gut, er hatte ab und zu Kontakt mit uns, wenn einer das Zimmer betrat oder verließ. Gelegentlich nach ein, zwei Bier vor dem Fernseher wurde er auch auf dem Weg zum Klo umarmt. Manchmal etwas zu schwungvoll, und er tat dann beleidigt, weil er die Liebkosung und den Freundschaftsbeweis als Haltlosigkeit unter Alkoholeinfluss missinterpretierte. Er drehte sich dann wortlos weg und fiel einfach um.
Irgendwann kam es dann auch zu dem unvermeidlichen Kontakt mit einer Frau. William mochte keine Frauen. Acht Jahre hatte er in einem hagestolzen Junggesellenhaushalt gelebt: „Frauen haben hier nichts verloren“, war sein Credo. Es war wohl eine Abwehrhaltung wegen einer unglücklichen Beziehung zu dem entenförmigen Fön im Bad. Die beiden waren sich ähnlich, und doch klappte es nicht mit ihnen. Woran ihre Beziehung scheiterte? Genau lässt es sich nicht sagen. Sie waren beide Geräte mit Luftstrom, sie blies und er saugte. Vielleicht waren sie in ihrem Rhythmus zu verschieden? Vielleicht wollte sie etwas Festes, Bleibendes im Bad, während er die Unabhängigkeit in der Wohnung kultivierte. Er kannte fast jede Steckdose, musste immer wieder aufbrechen, kreuz und quer in unserer kleinen Welt herumziehen. Sie wollte, dass er sich zu ihr bekannte und für immer im Bad bliebe, sie würden kleine Mundduschen bekommen, die sie gemeinsam großzögen. Aber er fühlte sich im Bad überflüssig und zog wieder aus. Seitdem hat er nur kurze Begegnungen mit der Stehlampe gehabt, und wenn er es nicht mehr aushielt, ging er zur Steckdose. Zuletzt war er einsam und resigniert. Er hatte innerlich aufgegeben.
Und dann kam diese junge Dame in die Wohnung. Sie ist groß und vollbusig und blond. Sie lacht laut, bringt den Bewohnern Eis mit und fragt, ob man mit ihr ins Hallenbad kommen möchte. Sie redet mit großen Gesten, dabei ist es zweimal passiert, dass sie William streifte, und mit einem wütenden und trotzigen Zittern warf er sich wie ein kleines Kind auf den Boden und begann zu weinen. Dann gab er plötzlich keinen Laut mehr von sich. Kein Schnauf, kein Vibrieren, nichts.
Schließlich hat unsere Besucherin ihre blaue gedrungene Saugkatze mitgebracht. Frauen sind so reinlich, sie hatte auch „zufällig“ frische Beutel in der Tasche. Alle vier Wochen müssten wir den Staubbeutel austauschen. Bei William war das nie notwendig. Jetzt steht er hinter dem Vorhang, damit er die Saugkatze nicht sehen muss. Vielleicht hört er ja nicht, dass sie jetzt bei uns saugt. Manchmal ist ein zeitweiliges Koma ein Glück.
HEIJKO BAUER
Hinweis:Woran ihre Beziehung scheiterte? Vielleicht waren sie in ihrem Rhythmus zu verschieden?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen