Fehler der Vergangenheit

betr.: „Belgrad tanzt auf den Straßen“ u. a., taz vom 7./8. 10. 00

Bei aller Freude über den Sturz Milošević’ kann nur davor gewarnt werden, dem neuen Präsidenten Jugoslawiens umfassende Zugeständnisse zu machen, bevor Koštunica einen wirklichen Kurswechsel eingeleitet hat.

Serbiens Problem war nicht die Person Milošević, sondern der tiefe nationalistische Grundkonsens in der serbischen Gesellschaft, der in der Vergangenheit Milošević an die Macht gebracht und gehalten hat. Der bis vor zwei Wochen von einer Mehrheit der Serben gewählte und legitimierte Milošević wurde nicht abgewählt und gestürzt, weil er ein Völkermörder ist, sondern weil er zuletzt erfolglos war.

Auch wenn Koštunica nicht zum bisherigen Machtkartell gehört, teilt er den aggressiven serbischen Nationalismus der politischen Klasse Serbiens. Der frühere EU-Verwalter in Mostar, Hans Koschnick, hat darauf hingewiesen.

Koštunicas Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Milošević’ bisherigen Koalitionspartnern Drašković, dem Terroristen Šešelj und den montenegrinischen Sozialisten, ist mehr als nur Ausdruck der Mehrheitsverhältnisse im neuen Parlament, in das die Serben wiederum die Parteien gewählt haben, die für die Katastrophen der vergangenen zehn Jahre verantwortlich sind.

Insbesondere was die Zukunft des Kosovo angeht, darf die internationale Gemeinschaft nicht den Eindruck erwecken, dass der Wechsel im Präsidentenamt ein Grund sein könnte, die zwei Millionen Kosovo-Albaner wieder serbischer Gewalt zu überlassen und ihnen das Recht auf Selbstbestimmung erneut zu verwehren.

MICHAEL SCHMIDT-NEKE, Kiel

Not tut in der gegenwärtigen Situation Serbiens eine Aufklärung des politischen Bewusstseins. Es wird den Serben aber kaum möglich sein, zu den Fehlern der Vergangenheit zu stehen, wenn der Westen unter Ausblendung seiner eigenen unseligen Jugoslawien-Politik die Serben in die Sündenbock-Ecke zu stellen versucht.

D'accord: Milošević ist für Kriegsverbrechen verantwortlich. Sind das Clinton, Schröder, Scharping, Fischer und Konsorten nicht auch (Angriffskrieg, Einsatz uranhaltiger Bomben, Bombardierung des serbischen Fernsehens etc.)?

Dem Massenmord von Srebrenica steht die Massenvertreibung aus der Kraijna gegenüber, für deren Rückgängigmachung der Westen so gut wie nichts unternimmt (das Gleiche lässt sich in Bezug auf die Vertreibung von hunderttausenden Roma und Serben aus dem Kosovo sagen).

Überhaupt scheint ein unterschwelliger Rassismus Westeuropas gegenüber dem orthodoxen Teil Europas in der Gemengelage der Motive für die westliche Jugoslawien-Politik eine bedeutende Rolle zu spielen. Hoffen wir, dass nach dem Abgang der Hauptverantwortlichen für das Kosovo-Desaster, Clinton und Milošević, die Zeit für das Suchen und Finden rationaler und dauerhafter Lösungen für diesen Teil Europas auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Respekts anbricht.

CHRISTOPH MEYER, Basel, Schweiz