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schachmattDer WM-Kampf zwischen Kasparow und Kramnik

Diktator im Würgegriff

„Ein Sieg von Kramnik käme einem Erdbeben gleich“, befindet The week in chess (www.chesscenter.com), die Bibel der Schach-Freaks im Internet. Solch verwerflich Gedankengut darf das Zentralorgan von Garri Kasparow, www.kasparovchess.com, natürlich mit keiner Zeile verbreiten. Sicher, der erste WM-Gegner des eigenen Herrn und Meisters wird stark geredet. Doch wer glaubte ernstlich an einen Sieg des Weltranglistenzweiten in London?

Noch nie gewann Wladimir Kramnik einen Zweikampf, während der Titelverteidiger alle vernichtete. Nach drei der 16 Partien liegt jedoch Kramnik mit 2:1 in Front, obwohl er bereits zweimal die schwarzen Steine führte. Ein schwer wiegender Nachteil für Kasparow, der die Eröffnungstheorie revolutioniert hat und wie kein Zweiter mit Weiß ein Powerplay aufzuziehen weiß. In der dritten Begegnung geriet Kramnik in arge Not, doch nach 53 Zügen rettete er ein Remis. Auch in Partie zwei hatte sich Kramnik auf der Höhe gezeigt und Kasparow in dessen Leib- und Magenvariante Grünfeld-Indisch mit einem Zug ausgetrickst, der zunächst als verhängnisvoll abgetan worden war.

Trotz Kramniks Führung verhallen die Unkenrufe nicht. Ex-Champ Anatoli Karpow vermutet gar ein abgekartetes Spiel in dem „Freundschaftsspiel um ein hohes Preisgeld“ (zwei Millionen Dollar). Genüsslich referiert der 1985 entthronte Russe über ein Internet-Match, in dem Kramnik 12:11 gegen Kasparow führte, um dann die letzte Partie trotz aller Vorteile stümperhaft zu verlieren. Ähnliches erwartet Karpow nun in den Riverside Studios. Der 49-Jährige selbst sieht sich bis zur Klärung vor Gericht in Lausanne (Schweiz) immer noch als legitimer Weltmeister der Fide – gleichwohl diese den St. Petersburger Alexander Chalifman als seinen Nachfolger führt.

Juristische Winkelzüge unternimmt mittlerweile auch Alexej Schirow. Just 24 Stunden vor dem Auftakt des Londoner Duells erhob er Klage. 1998 hatte der Lübecker Bundesligaspieler Schirow jenen Kramnik mit 5,5:3,5 bezwungen und damit das Recht erhalten, das Match gegen Kasparow auszutragen. Doch Letzterer stempelte den Wettkampf mit dem wenig genehmen Sieger als „für Sponsoren wertlos“ ab und verhandelte stattdessen mit dem damaligen Weltranglistenzweiten Viswanathan Anand über eine Neuauflage der WM von 1995.

Der Inder verlangte indes im Frühjahr 300.000 Dollar als Garantiesumme, sollte ein Match, wie vorher passiert, mal wieder abgeblasen werden. Kasparow fühlte sich brüskiert und präsentierte kurzerhand Kramnik, den er schon mit 17 ins russische Nationalteam geboxt hatte. Der 25-Jährige half seinem Mentor gerne. Obwohl Kramnik als einziger Großmeister mit 4:3-Siegen einen positiven Score gegen die Nummer eins aufweist, scheint nur Anand dem Außenseiter die WM-Krone zuzutrauen. „Kasparow spielt im Allgemeinen sehr gehemmt gegen Kramnik, ja geradezu schrecklich. Ständig hat er Angst vor irgendetwas“, analysiert Anand.

Psychologisch befindet sich der junge Stoiker („Ich bin nie aufgeregt“) jetzt im Vorteil. 82 Partien lang war der „Meister des Betonschachs“ bis zu seiner ersten Niederlage in Dortmund nach fast 18 Monaten unbezwungen. Diesmal muss die Python nur noch 13 Partien durchhalten. Für Kasparow wäre eine Pleite besonders bitter, denn dann würden alle sagen, er habe die Schlangenbrut am eigenen Busen genährt.

Während Kasparow hernach womöglich gar abträte, wie mancher hofft, könnte sich der Pragmatiker Kramnik mit der Fide auf das Ende des Titel-Wirrwarrs einigen. Die Schachwelt würde deshalb ein Erdbeben begrüßen. Vielleicht das erste, das keine Gräben aufreißt, sondern Risse kittet. HARTMUT METZ

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