: Ein dämonisierter Held
Michael Schwelien hat eine besondere Heroengeschichte verfasst: Joschka Fischer erscheint mal opportunistisch, mal hypermoralisch – aber immer auf seine eigene Karriere bedachtvon MARTIN ALTMEYER
Michael Schwelien möchte in seiner Biografie Joschka Fischers die Ankunft des Ex-Sponti-Führers im Machtzentrum der Berliner Republik, die Wandlung vom militanten Kader des „revolutionären Kampfes“ zum Minister im Auswärtigen Amt und Vizekanzler als Ergebnis einer gezielten Laufbahnplanung dekonstruieren. Die Studentenbewegung und das Projekt der grünen Partei bildeten dabei lediglich Durchgangsstationen.
Fischer wird als charismatischer Politiker „amerikanischen Typs“ vorgeführt, als „politischer Popstar“, als Schauspieler auf wechselnden Bühnen, der Aktivitäten entwickelt, Themen besetzt, Reden hält, Netzwerke knüpft und sogar private Vorlieben demonstriert, die alle strategischen Charakter haben und einer absichtsvollen Lebensplanung untergeordnet sind: (Self-) management by objectives. Mit Inszenierungen der öffentlich vollzogenen Veränderung seiner persönlichen Lebensgestaltung – vom Revolutionär zum linken Hedonisten und von dort zum asketischen Marathonläufer – sei es ihm gelungen, auch seine politischen „Häutungen“ überzeugend zu verkaufen.
Im Kern wird die Geschichte des unbändigen Willens zur Macht erzählt, der sich der Mittel von zeitgemäßer medialer Inszenierung bedient und weder billigen Opportunismus noch den hohen Ton der Hypermoral scheut, um seine persönlichen Ziele zu erreichen. Selbst die Kontingenzen der biologischen Abstammung und sozialen Herkunft werden einem weit blickenden Selbstentwurf einverleibt, dessen Konstruktionslinien Schwelien nachzuzeichnen beansprucht. Ein Heldenepos wird vorgetragen, auch wenn der Heroe vom Sockel gestoßen wird.
Die Persönlichkeitsdiagnose, die Schwelien dem Objekt seines Interesses ausstellt, ist ein Holzschnitt: Fischer hat erstens den Komplex des formal wenig gebildeten Autodidakten, der als „Overachiever“ ständig seine Überlegenheit demonstrieren muss, besonders gegenüber Intellektuellen. Er erwartet zweitens unaufhörliche Bewunderung, und dieser narzisstische Zug drängt ihn überall dahin, wo ein großes applaudierendes Publikum zu erwarten ist.
Drittens hat er einen geradezu machiavellistisches Machtbedürfnis und ein untrügliches Gespür für die selektive Nähe zu den Medien, auf deren Spiegelung seine Macht beruht – entgegen dem Außenseiterimage, das er pflegt. Der vierte Zug ist die mimetische Eigenschaft, so in eine Rolle zu schlüpfen, dass zwischen Person und Bühnenfigur kein Unterschied mehr ist: das Authentische als Maske. Fischer versteht es fünftens, sich als markanten, aber bescheidenen Mann im Hintergrund zu inszenieren, so, als überließe er den Vortritt anderen und begnügte sich mit der zweiten Geige (hinter Cohn-Bendit, später hinter den ParteisprecherInnen, heute hinter Schröder), aber jeder soll spüren, er ist der fähigere.
Dazu passt sechstens die Fähigkeit, Freunde fallen zu lassen, wenn es sein muss, und sich auf Kosten von Mitstreitern zu profilieren, wenn das politische Kalkül oder die Medienwirkung es erfordern. Siebtens war Fischer nie Pazifist, sondern „schon immer zum Kampf bereit“. Der angebliche Sinneswandel vom Friedensfreund zum Bellizisten im Bosnien- und Kosovokrieg verdeckt bloß einen gut getarnten Opportunismus, der sich alle Optionen offen hält. Deshalb sind achtens die moralisierenden Begründungen seiner Politik zu Krieg und Frieden oder zu den Menschenrechten reine Fassade, hinter der moralisch indifferenter Pragmatismus hervorscheint.
An dieser Zerlegung einer öffentlichen Person ist gewiss nicht alles falsch, aber auch Halbwahrheiten über einen Menschen werden zur Denunziation, wenn sie einer bösartigen Dramaturgie folgen. Hier scheut Schwelien nicht die Rhetorik des Verdachts, mit der offenkundige Widersprüche in seiner Darstellung verklammert werden.
Im Zentrum des Buchs steht der Kosovokrieg, das umfangreichste Kapitel überschreibt der Autor „Kriegstreiber“ – und distanziert sich mit den Anführungszeichen zugleich von der Inkriminierung. Fischer habe der Drohung mit Nato-Bomben nur zugestimmt, weil Schröder ihn sonst nicht zum Außenminister gemacht hätte: Weltgeschichte als Postenschacher. Will der Autor ernsthaft die Rolle Fischers im Kosovokrieg als die eines Karrieristen beschreiben, der nach Kriterien seiner individuellen Laufbahn über Leben und Tod entschieden hat?
Die Reise zu Milošević – alles Show? Der Einsatz in Rambouillet – Staffage zur Verschaffung eines Alibis? Der Fischer-Plan zur Beendigung des Krieges – bloße Gesichtswahrung gegenüber den Grünen unter Ausnutzung der Russen? Schwelien hält dem Außenminister vor, der sei sogar zum Landkrieg bereit, wenn nicht entschlossen gewesen. Aber lag die moralische Korruption des Feldzugs für die Menschenrechte nicht gerade darin, Bodentruppen auszuschließen?
Was Fischer zu dem Politiker der 68er-Generation macht, kommt in diesem Buch nicht wirklich vor. Hat Schwelien nicht verstanden, welche Wirkung auf verzweifelt gewaltbereite Gruppen Fischers öffentliche Absage an den selbstverliebten „Todestrip“ der RAF auf dem Höhepunkt ihrer terroristischen Aktivitäten 1977 hatte? Ist ihm entgangen, dass seine selbstkritische Absage an revolutionäre Illusionen, aber auch die von ihm initiierte „Sponti-Wählerinitiative“ für die Bundestagswahlen 1983 zur Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie bei der nicht sozialdemokratischen Linken beigetragen hat.
Fischers brillante, in Auszügen beiliegenden Bundestagsreden, waren sie nicht auch Beleg dafür, dass der hermetische Diskurs der Adenauer-Ära durchbrochen und ein kritischer Geist diese „Alkoholikerversammlung“ (Fischer) durchwehte? Republikanische Versöhnung mit dem Parlamentarismus, Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols, Zivilisierung der gesellschaftlichen Auseinandersetzung – wer hätte das für unsere Generation besser leisten können als Fischer mit seiner an Marx und der Kritischen Theorie geschärften Intelligenz und mit seiner anarchistisch-antiparlamentarischen politischen Vergangenheit in der Sponti-Szene!
Dabei enthält das Buch gut recherchierte Teile, etwa über die Vorgeschichte von Fischers großer Europarede. Oder schöne Passagen, in denen Schwelien die Grabenkämpfe zwischen den linken Organisationen in den 70er-Jahren auf amüsante Weise schildert, nicht ohne auf seine eigene Organisation, das Offenbacher „Sozialistische Büro“ hinzuweisen und kleine Gemeinheiten an die konkurrierenden Maoisten (Schmierer) und Spontis (Cohn-Bendit) zu verteilen. Aber nur zwischen den Zeilen wird die intellektuelle Potenz, die rednerische Begabung und das Gespür für historische Zusammenhänge und Entwicklungen angedeutet, Fähigkeiten eben, die Fischer inzwischen zu einem über die Generationen- und Geschlechtergrenzen hinweg anerkannten Politiker haben werden lassen.
Schwelien wollte weder eine unkritische Hagiographie schreiben noch einen überkritischen Verriss, die Idealisierung ebenso vermeiden wie die Entwertung. Aber er hat sich von einer verführerischen Dramaturgie – die womöglich gar nicht weit weg ist vom Selbstbild seines Objekts – leiten lassen, die nun in der Person des dämonisierten Helden beides in einer merkwürdigen Mischung liefert.
Michael Schwelien, „Joschka Fischer. Eine Karriere“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2000, 314 S., 39,90 DM
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