: Die UNO als Warlord
von DOMINIC JOHNSON
Bundeswehrgeneral a. D. Manfred Eisele beherrscht die Feinheiten der Diplomatie. Bevor der langjährige leitende Mitarbeiter der UN-Peacekeeping-Abteilung am Dienstag in Berlin die Ergebnisse seiner Untersuchung über die UN-Mission in Sierra Leone vorstellte, verwies er darauf, dass er natürlich nicht auf die Teile seines Berichts eingehen könne, die UN-Generalsekretär Kofi Annan nicht umsetzen werde. Was er danach als seine „persönliche Meinung“ äußerte, war also offizielle UN-Politik, ohne dass er das sagen musste. Zum Beispiel, als Eisele verlangte, die derzeit größte UN-Blauhelmmission der Welt solle sich in Sierra Leone „auf die Seite des Rechts stellen“.
Die neue Doktrin
Im Klartext heißt das: In Sierra Leone ist die UNO dabei, sich vom Prinzip der Unparteilichkeit zu verabschieden. Die derzeit knapp 13.000 Blauhelme – die demnächst auf 20.500 verstärkt werden sollen – sollen nicht mehr das gescheiterte Friedensabkommen durchsetzen, das die Regierung 1999 nach acht Jahren Bürgerkrieg mit den Rebellen der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF) schloss. Stattdessen soll die UNO der Regierung helfen, die Kontrolle über das Land zu gewinnen, notfalls mit Gewalt.
Das kleine westafrikanische Land wäre damit Testfall für die neue Peacekeeping-Doktrin, die im Auftrag von Kofi Annan der ehemalige algerische Außenminister Lakhdar Brahimi in einem Bericht zur Zukunft von UN-Friedensmissionen dargelegt hat: Aus den Versäumnissen von Bosnien und Ruanda lernen und beim Eingreifen in einen innerstaatlichen Konflikt notfalls auch einseitig gegen eine Konfliktpartei vorgehen, um schwerste Kriegsverbrechen bis hin zum Völkermord zu verhindern.
Nachdem die UN-Mission in Sierra Leone im Mai an wiederholten Angriffen durch die RUF fast zerbrach und seitdem von schweren inneren Streitereien gelähmt ist, wird sie nun in diesem Sinne neu konzipiert. Der UN-Sicherheitsrat begann am Montag mit Beratungen über die Ergebnisse der soeben beendeten Reise einer hochrangigen Delegation des UN-Sicherheitsrates durch Sierra Leone, Guinea, Mali, Nigeria und Liberia. Im Bericht des Delegationsleiters und britischen UN-Botschafters Jeremy Greenstock an den Sicherheitsrat wird empfohlen, die UN-Mission in Sierra Leone in ein „schlagkräftiges militärisches Instrument“ zu verwandeln. Auf einer Pressekonferenz fügte Greenstock hinzu: „Es muss militärischen Druck auf die RUF und ihre Unterstützer geben“.
Nun liegt Sierra Leone aber nicht in einem Vakuum, sondern in Westafrika, einer der explosivsten Regionen der Welt. Nicht nur in Sierra Leone kämpfen Rebellen, sondern auch in Guinea und Liberia. Die Regierungen dieser beiden Länder unterstützen jeweils die Rebellen im anderen Land, was in diesen Tagen zu schweren Kampfhandlungen führte. Auch der Rest Westafrikas ist kein Hort der Stabilität. So steckt die Elfenbeinküste kurz vor den Wahlen am kommenden Wochenende, bei denen sich Militärherrscher Robert Guei an der Macht bestätigen lassen will, in einer schweren Krise, und Nigeria wird von blutigen ethnischen Unruhen erschüttert.
Wenn die UNO in Sierra Leone auf die militärische Lösung setzt, gibt es keinen Grund für andere politische Akteure Westafrikas, dies nicht auch zu tun. So bedingt die Ausweitung der UN-Mission zur Kampftruppe die Ausweitung der Region zur Kriegszone. Die diversen Konfliktparteien sind bereits dabei, sich in zwei Lager zu sortieren.
Auf der einen Seite steht Liberias Präsident Charles Taylor, Pate der Rebellen in Sierra Leone und in Guinea. Zu Beginn seiner Karriere als Rebellenchef 1989 agierte er als Freund des damals auf Expansion bedachten frankofonen Teils von Westafrika. Sein damaliger Hauptrüstungslieferant war der heutige Militärherrscher der Elfenbeinküste, General Guei. Auch der Regierung von Burkina Faso ist Taylor geschäftlich verbunden. Aus der Sicht seiner Gegner ist Taylor die Spinne im Verbrechernetz.
Die andere Seite wird von Nigeria angeführt, mächtigstes Land der Region und seit zehn Jahren mit Eingreiftruppen zunächst in Liberia und dann in Sierra Leone aktiv. Nigerias Generäle, aus Sicht ihrer Gegner auch verbrecherische Warlords, dominieren die UN-Mission in Sierra Leone. Mit dabei ist die Regierung von Sierra Leone, inzwischen auch die von Guinea. Schirmherren dieser Allianz sind Großbritannien und die USA, die beide eine „robuste“ UNO in Sierra Leone fordern und sich auf Charles Taylor einschießen.
US-Afrikastaatssekretärin Susan Rice sagte am 11. September: „Wir erkennen die zersetzende Rolle Taylors in der Tragödie Sierra Leones und der sich ausbreitenden Instabilität in der Region, und wir sind der Beendigung seines zerstörerischen Einflusses verpflichtet.“ Der Brite Greenstock warnte den liberianischen Präsidenten auf seiner Rundreise: „Teil der Instabilität in Sierra Leone zu sein, würde Sie instabil machen.“ Liberia unterliegt mittlerweile Sanktionen der USA und der EU. Die Wendung der UNO gegen Taylor ist auch eine Hauptforderung des deutschen Generals Eisele.
Weltkrieg in Westafrika
Als Bestandteil einer Kriegspartei hätte die UN-Mission mächtige und schlagkräftige Freunde. Großbritannien griff bereits im Mai kurzzeitig mit einer Kampftruppen von über 1.000 Soldaten in Sierra Leone auf Seiten der Regierung ein. Heute sind noch 500 britische Soldaten in Sierra Leone stationiert, die die Regierungsarmee führen, und 5.000 weitere stehen seit einer Woche in Großbritannien in Alarmbereitschaft. Die USA haben 250 Soldaten nach Nigeria entsandt, um Blauhelme auszubilden. Aber sie sind nicht allein: Frankreich hat ständige Truppenkontingente in Senegal und der Elfenbeinküste stehen. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es eine solche Konzentration von Kampftruppen führender UN-Mitglieder in potenziell verfeindeten Ländern derselben Region.
Aber wohin kann ein generalisierter Krieg in Westafrika führen, in der nicht einmal die UNO als schlichtendes Instrument zur Verfügung stünde? Eisele erlaubt sich eine pessimistische Prognose. „Wenn die Bürger in Sierra Leone mit Entschlossenheit aufträten, bräuchte man nicht 20.000 Blauhelme. Offensichtlich ist diese Gesellschaft nicht zu solchen Maßnahmen im Stande. Ich habe für Sierra Leone keine optimistische Zukunftserwartung.“
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