piwik no script img

Tiger und Stofftier

47 Künstler räumen die Hamburger Kunsthalle ein und nennen das: „einräumen“  ■ Von Kerstin Wiese

Im Museum erwartet man Kunst, aber auch auf den Toiletten, in den Garderobenräumen oder im Café? Gewöhnlich sind die unterschiedlichen Funktionsbereiche eines Museums klar voneinander getrennt: die Schausammlungen von den Sonderausstellungen, die Orte der Kunst von denen der Erholung und des alltäglichen Lebens. In der Hamburger Kunsthalle ist das nun anders. Unter dem Motto einräumen haben 47 Gegenwartskünstler das Museum mit ihren Kommentaren versehen und neue Kontexte herstellt. Sie reflektieren den Kunstbetrieb und die Museumspraxis, überprüfen den institutionellen Rahmen und die Kunstrezeption. Über den gesamten Gebäudekomplex verstreut, finden sich die Eingriffe der Künstler, die auch vor marginalen Funktionsbereichen nicht Halt machen.

Susanne Weirich etwa hat die Handtuchhalter in den Waschräumen umfunktioniert. Zieht man ein Papiertuch heraus, so verwandelt sich der alltägliche Gebrauchsgegenstand in einen Trostspender und beginnt, Dialoge aus amerikanischen Spielfilmen wie Pulp Fiction oder Killing Zoä zu zitieren.

Auch Claus Föttinger arbeitet mit Filmzitaten. Er hat das Café Liebermann in eine Bar umgestaltet und das gesamte Mobiliar mit grünstichigen Filmstills und Medienbildern verkleidet. Wie Weirich bringt er die Kunst zum Besucher und regt gleichzeitig zum Nachdenken über die Durchdringung von politischer Realität und filmischer Fiktionalität an.

Nur wenige Räume entfernt ist der Beitrag von Tobias Rehberger zu finden. Er hat sein Werk an einem typischen Ort der Kunst platziert. Den Olympiasaal der Hamburger Kunsthalle zieren nun 81 mundgeblasene Lampen, deren Lichtdramaturgie wenig mit der üblichen Museumsbeleuchtung zu tun hat. Rehberger verdeutlicht, wie wichtig das Licht für die Kunstwahrnehmung ist, und verweigert der Kunsthalle zugleich die Herrschaft über dieses entscheidende Präsentationsmittel. Denn die Lampen können nur von der gegenüberliegenden Firma Bindan an- und ausgeknipst werden. Immer wenn im dortigen Konferenzsaal das Licht angeschaltet wird, geht es auch im Olympiasaal an.

Kaum zu glauben, dass in diesem Saal neulich noch ein echter Tiger frei herumlief, doch auch dies war im Rahmen von einräumen möglich: Angeregt von dem Gemälde „Tiger und Schlange“ des französischen Malers Eugene Delacroix hat Peter Friedl einen Tiger mit einer Stoffschlange im Ausstellungsraum kämpfen lassen. Ein Video zeugt von dem ungewöhnlichen Ereignis und verweist das reale Geschehen gleichzeitig zurück ins Bild. Der Videofilm ist ein Stockwerk höher zu betrachten und verbindet sich mit der Installation von Franka Hörnschemeyer zu einem besonderen Ambiente. Hörnschemeyer nämlich hat den benachbarten Lehmbrucksaal nicht nur von seinen Einbauten befreien lassen, sondern ihn zudem mit gitterartigen Bauteilen bestückt, die den Tiger nun im Käfig einzusperren scheinen.

Maria Eichhorn und Rirkrit Tiravanija installieren Erholungsräume im Museum, Andrea Fraser thematisiert das Sprechen über Kunst. Das Künstlerduo p.t.t.red hat aufgrund einer umfangreichen Inventur den Geldwert der Kunsthalle ermittelt, und Andreas Slominski sabotiert den lesenden Bibliotheksbesucher mit einer nicht ganz leisen Installation. Hinzu kommen historische Positionen der Institutionskritik, die Künstler wie Marcel Duchamps, Claes Oldenburg oder Robert Filiou in der Vergangenheit geäußert haben, sowie Auftragswerke, die sich bereits seit längerer Zeit in der Sammlung der Hamburger Kunsthalle befinden. Dass man in der Fülle der Arbeiten den roten Faden nicht verliert, dafür haben Christoph Rauch und Attila Menesi mit ihrem Beitrag zu einräumen gesorgt: Sie nämlich haben die Beschilderung und das Faltblatt entworfen.

bis 21.01.01, Di - So 10 - 18 Uhr, Do 10 - 21 Uhr, Hamburger Kunsthalle; Katalog: 192 S., 29 Mark

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen