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Kollege Computer

Solidarität und Neuer Markt: Felix Bosse hat eine Startup-Firma und predigt Flexibilität. Matthias von Fintel ist Gewerkschafter und will die Beschäftigten in der New Economy vor dem Schlimmsten bewahren

das Gespräch führten UWE RADA und RICHARD ROTHER

taz: Wann haben Sie zum letzten Mal das Wort Solidarität in den Mund genommen?

Felix Bosse: Genau kann ich mich daran nicht erinnern. Aber da ich ein politisch interessierter Mensch bin, gehören Begriffe wie Gerechtigkeit zum Sprachgebrauch, wenn ich mich mit Freunden in der Kneipe treffe.

Und innerhalb der Firma?

Bosse: Wir sind gerade dabei, die Mitarbeiterbeteiligung umzusetzen. Da sind Fragen der Gerechtigkeit, der Angemessenheit virulent. Auch wenn das Wort Solidarität nicht fällt.

Matthias von Fintel: Genau weiß ich das auch nicht, aber sicherlich in den letzten 14 Tagen. Solidarität gehört ja leider nicht zu den neuen Begriffen. Das Wort muss erst wieder in den Sprachgebrauch einfließen, genauso wie der Begriff Gewerkschaft.

Verhalten sich New Economy und Solidarität wie der Teufel und das Weihwasser?

von Fintel: Probleme gibt es nicht nur in den so genannten Startup-Firmen, sondern im gesamten Medienbereich. Viele freie Mitarbeiter oder studentische Teilzeitkräfte übernehmen immer mehr Aufgaben. Da stellt sich ein Problem: Jeder Freie muss seinen Bereich erst finden und steht in einer direkten Konkurrenz zu anderen. In einer solchen Situation muss die Gewerkschaft Solidarität herstellen. Da sind wir aber in der New Economy noch lange nicht so weit wie beispielsweise beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Bosse: Bei uns gibt es eher ein anderes Problem. Die freien Mitarbeiter wollen sich gar nicht fest anstellen lassen. Ich als Arbeitgeber hätte zum Beispiel gerne im Bereich Webdesign Zugriff auf einen voll verfügbaren Arbeitnehmer. Der Arbeitnehmer jedoch, der über ein sehr spezielles Wissen verfügt, möchte sich nicht binden.

von Fintel: Das liegt daran, dass die Zukunft von Startups unsicher ist. Die Spezialisten wollen sich nicht auf eine Fima festlegen, die vielleicht Pleite macht.

Bosse: Dem muss ich stark widersprechen. Das Unternehmen, in dem einer programmiert oder Webseiten designt, ist in keiner Weise für die Qualifikation festlegend. Als Angestellter braucht man keine Angst haben, sich beruflich feszulegen. In der Regel müssen wir uns als Arbeitgeber alle Mühe geben, qualifizierte Mitarbeiter zu halten. Das nächste Startup- oder Unternehmen der Old Economy winken schon, und die bieten höhere Gehälter.

von Fintel: Vielleicht geht es eher darum, dass ein Beschäftigter sich nicht anstellen lassen will, um nicht unter Druck gesetzt zu werden. Als Freier arbeitet man seinen Auftrag ab, dann kommt der nächste; als Fester muss man wohl immer springen.

Bosse: Ich glaube nicht, dass Freie weniger arbeiten. Im Gegenteil: Die arbeiten so lange, bis das Ergebnis da ist. Auch wenn sie sich vielleicht zeitlich etwas verkalkuliert haben. Ein fester Mitarbeiter, auch wenn der unter Druck ist, kann eher sagen, dass er etwas nicht in der geplanten Zeit schafft, weil vielleicht etwas dazwischengekommen ist.

Der DGB hat gerade einen Kinospot gedreht, bei dem man den Eindruck gewinnt, in New-Economy-Unternehmen herrschen Wildwestmethoden, frei nach dem Motto: Wer nicht alles gibt, ist fehl am Platz. Herr Bosse, hat Sie dieser Spot verärgert?

Bosse: Ich habe den Spot leider nicht gesehen, weil ich nicht ins Kino komme. Natürlich gibt es auch bei uns keine 35-Stunden-Woche. Mitarbeiter, die wir einstellen, haben aber eine gewisse Erwartung an Startups. Wer immer schon in Projekten gearbeitet hat, weiß, dass es Termine gibt, die überdurchschnittliches Engagement verlangen.

von Fintel: Die Überstunden bei Projekten, die im Übrigen nicht nur in der New Economy um sich greifen, sitzt aber niemand auf der Arschbacke ab. Das ist Stress pur, und der ist auf Dauer gesundheitsgefährdend. Nicht, bei denen, die anfangen, sondern bei denen, die schon etwas länger dabei sind. Irgendwann wird klar, dass hier zügelnde Regelungen nötig sind – allein um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten. Das werden auch Unternehmer noch begreifen. Einheitliche Regelungen, nennen wir sie Tarifverträge, sind darüber hinaus wichtig, um die Konkurrenz unter den Unternehmen in den Griff zu bekommen. Sie haben das Beispiel selbst genannt, Herr Bosse. Nehmen Sie zum Beispiel ein Startup-Unternehmen, in das vielleicht gerade etwas mehr Geld hineingeschossen wurde, das kauft Ihnen sofort die besten Leute weg.

Bosse: Uns muss es als Startup gelingen, eine sehr hohe Identifikation der Mitarbeiter mit dem, was wir machen, zu erreichen. Wenn die Mitarbeiter lediglich Einkommensoptimierer wären, würde unser Betrieb nicht funktionieren.

Herr Bosse, Solidarität, heute würde man vielleicht Social Networking sagen, gibt nicht nur im Beruf, sondern auch privat Sicherheit. Was machen Sie, wenn es Ihnen dreckig geht?

Bosse: Das ist relativ einfach. Ich habe in Hamburg eine Frau und zwei Kinder. Und die Zeit, die nicht der Firma gehört, gehört denen. Das ist im Wesentlichen das Wochenende, abgesehen von einer zwei- bis dreistündigen Laptop-Sitzung am Sonntag Nachmittag, die sich bei mir eingebürgert hat. Meine Frau und ich sind relativ glücklich damit, weil Beruf und Familie auch räumlich klar getrennt sind.

Ist Ihre Frau berufstätig?

Bosse: Bevor unsere beiden Kinder zur Welt kamen, hat meine Frau als Unternehmensberaterin gearbeitet. Wenn das zweite Kind eineinhalb ist, wird sie das wieder tun. In Teilzeit, so rund 20 Stunden pro Woche.

Wie sehen die sozialen Netzwerke Ihrer Mitarbeiter aus?

Bosse: Da kann ich relativ wenig zu sagen.

von Fintel: Die Veränderungen der Beschäftigungsgestaltung verändern das komplette Leben drumherum. Umso zu arbeiten, muss man auch rund um die Uhr öffentliches Leben anbieten. Ob das nun Geschäfte oder Kneipen betrifft.

Bosse: Dem steht aber die höhere Flexibilität entgegen. Wenn bei uns ein Mitarbeiter einen neuen Videorecorder braucht, kann er tagsüber problemlos eine Stunde weggehen, ohne dass er sich irgendwo ausstempeln muss.

von Fintel: Das kann er aber nicht, wenn ein Projekt drängt.

Bosse: Dann hat der Kauf eines Videorecorders eben mal eine Woche Zeit.

Aber es zeigt, wie sehr sich in der Arbeit und Privatleben immer mehr miteinander vermischen.

Bosse: Auf jeden Fall. Das ist aber in der New Economy auch in dem starken Wachstum begründet. Ich weiß doch heute noch nicht, welche Aufträge wir im Januar haben und wie viele Leute ich dann brauche.

von Fintel: Die New Econonomy hat tatsächlich eine Vorreiterrolle. Hier werden die klassischen Beschäftigungsarten aufgelöst. Die New Economy führt das vor, und es wird verstärkt in anderen Branchen übernommen. Für mich als Gewerkschafter ist das kein guter Trend.

Bosse: Warum ist er dann so attraktiv?

von Fintel: Er ist nur so lange attraktiv, so lange die Einzelnen keine Alternative haben.

Bosse: Glauben Sie wirklich, dass wir unser Unternehmen aufbauen mit alternativlosen Menschen?

von Fintel: Ich glaube schon, dass etwas weniger Arbeit zu einem besseren Lohn für ihre Mitarbeiter attraktiver wäre.

Noch einmal zum Thema Zeit. Der Projekte-Rhythmus ist in der Arbeitswelt ja nichts Neues. In der Regel sah es aber so aus, dass die Mitarbeiter ein paar Wochen oder Monate an einem Projekt saßen, dann aber wieder eine etwas ruhigere Phase begann. Damit ist es nun vorbei, weil immer schon die nächste Aufgabe drängt.

Bosse: Man muss einfach das private Leben straffen. Und vielleicht auch Sachen, die man vorher unter der Woche geschafft hat, aufs Wochenende schieben.

Wie lange hält man das durch?

Bosse: Ich muss sagen, dass das kein Durchhalten ist, weil mir die Arbeit Spaß macht.

von Fintel: Sicher ist vieles noch vereinbar, auch bei veränderten Arbeitsrhythmen. Aber das Leben um die Arbeit herum wird beschnitten, durch die Ausdehnung der Verfügbarkeit für das Unternehmen. Wenn man beispielsweise um fünf Uhr Schicht hat, kann man das Leben ganz anders wahrnehmen. Interessanterweise gehen ja mittlerweile auch Unternehmen dazu über, die geleisteten Arbeitszeiten auf ein Konto zu schreiben. Damit können dann einmal längere Pausen, etwa ein halbes Jahr, eingelegt werden, um die Akkus wieder aufzuladen.

Bosse: Da kann man natürlich bei den Unternehmen ein gesundes Eigeninteresse vermuten. Denn ein Mitarbeiter, der nach drei Jahren verheizt ist, bringt nichts. Das ist schon eine reale Gefahr, dass einer Projekt für Projekt durchzieht und plötzlich an einem Punkt eine völlige innere Leere verspürt. In der Konsequenz würde das Unternehmen den Mitarbeiter verlieren.

Wenn der Hype um die New Economy vorbei ist, wird es dann wieder andere Arbeitsverhältnisse geben? Oder ist das noch steigerungsfähig?

von Fintel: Das kann man schwer sagen. Im Moment arbeiten die Unternehmen wenig nachhaltig. Durch die ständige Neu-Zusammenwürfelung von Projektteams gehen Erfahrungen verloren, weil die Mitarbeiter diese nicht mehr quasi natürlich weitergeben. Eine Geschäftsidee ist ja sinnfälligerweise schon, dass man Suchmaschinen entwickelt, die das Wissenspotenzial innerhalb einer Firma aufspüren sollen. Nach dem Motto: Wer kann was? Damit entstehen Defizite, die man leicht beheben könnte, wenn wieder mehr langfristige Arbeitsverhältnisse angestrebt würden.

Bosse: Für uns trifft das nicht zu, dazu sind wir viel zu klein, als dass einzelne Mitarbeiter in der Anonymität verschwinden würden.

von Fintel: Und bei den Freien?

Bosse: Trotz einer gewissen Fluktuation gibt es da kein ständiges Kommen und Gehen. Wie schon gesagt, wir versuchen eher, die wirklich guten Leute bei uns einzubinden.

Bieten Sie dafür – wie andere Startups auch ein besonderes Betriebsklima? Zum Beispiel kostenloses Frühstück, Massagen oder Fitnessräume für die Mitarbeiter?

Bosse: Frühstück gibt es, Massagen haben wir noch nicht. Wir bieten aber eine relativ freie Einteilung der eigenen Arbeitszeit.

Eine andere Frage ist, wie Startup-Unternehmen mit Problemsituationen umgehen. Wenn etwa durch die Übernahme der Firma durch eine andere trotz des Booms einzelne Arbeitsplätze bedroht sind.

von Fintel: Da stellt sich die Frage der Solidarität der Beschäftigten ganz neu, aber leider kommt es gerade dann zum großen Mobbing. Weil jeder Angst hat, dran zu sein. Man kennt das Phänomen aus Alternativbetrieben. So lange alles gut geht, ist man freundlich zueinander, duzt sich, isst gemeinsam Frühstück. Aber wenn es hart auf hart kommt, zählt das alles meist wenig. Deshalb treten wir für Regelungen im Vorfeld ein. Denn das Personal wächst nach, das ist wie in der Filmbranche, wo es auch immer junge, hoch motivierte Menschen gibt, die reindrängen. In den Medien wird ja auch das Bild vermittelt, dass es cool ist, in der New Economy zu arbeiten, und zwar – wenn es sein muss – rund um die Uhr. Bedauerlicherweise merken die wenigsten Kollegen zu Beginn, wie schnell man ausbrennt. Als Gewerkschaftsekretär kenne ich das ja auch aus eigener Erfahrung. Die Kollegen in diesen Firmen sollten sich deshalb überlegen, ob die Gewerkschaften nicht Dinge anbieten, die ihnen helfen. Wir haben ja die Erfahrungen: Zum Beispiel, wie man Projektarbeit bestimmt.

Werden wir mal konkret: Herr Bosse, was würden Sie denn sagen, wenn ihre Mitarbeiter plötzlich einen Betriebsrat gründen wollten, um unter anderem eine Arbeitszeit von acht, neun oder zehn Stunden pro Tag durchzusetzen?

Bosse: Mich würde es persönlich sehr berühren, dass ich die Bedürfnisse der Mitarbeiter offenbar nicht vorher wahrgenommen habe. Ich würde mich nicht widersetzen, aber ich würde das schon als Opposition auffassen.

von Fintel: Es gibt Situationen, in denen Betriebsräte für die Beschäftigten nötig sind. Beispielsweise wenn Unternehmen aufgekauft werden und der neue Besitzer Umstrukturierungen vornimmt, die auch zu Entlassungen führen können. Andererseits ist ein Betriebsrat aber auch ein Mittler zwischen Beschäftigten und Geschäftsführung, er kann Stimmungen kanalisieren.

Bosse: Ich bezweifle, dass der Betriebsrat das von Ihnen angepriesene Kommunikations- und Führungsinstrument ist. Das ist eine Frage des Managements.

Herr Bosse, was könnte für Sie eine Alternative zum Betriebsrat sein?

Bosse: Das unterstellt die Notwendigkeit einer Interessenvertretung. Das muss aber nicht so sein.

Nennen Sie uns zum Schluss bitte drei Werte, die Ihnen wichtig sind.

Bosse: Freiheit ist ein Wert, Glück . . .

von Fintel: Persönliche Entfaltung . . .

Bosse: Das ist gut.

von Fintel: Glück? Ja, sicherlich auch.

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