: Ein isolierter Feingeist
Literaturstar Michel Houellebecq kommt – und singt ■ Von Kristof Schreuf
Michel Houellebecq kommt mit der Band Multimania nach Hamburg, um mit sogenanntem „Schlaffrap“ das Haus weich zu rocken. Houellebecq hat früher zwei Gedichtbände geschrieben, aus denen er Texte entnommen hat, um sie auf dem Album La presence humaine zu deklamieren. Diese Platte soll von dem kontroversen Literaturstar beim Konzert vorgestellt werden. Sie wird ihr Publikum finden.
Denn vor der Veröffentlichung ist Michel Houellebecq durch zwei Romane bekannt und etwas berüchtigt geworden. Mit beiden ist es ihm nämlich gelungen, ein Agent der Provokation, ein isolierter Feingeist und jemand zu werden, der für schlechte bis düstere Launen eine knappe, schlüssige Sprache findet.
In Ausweitung der Kampfzone liefern die Begegnungen mit Kollegen einem Informatiker die Argumente, seine Weltabgeschiedenheit mitten unter Menschen zu begründen. In Elementarteilchen beschreibt der Autor das Aufwachsen eines Biologen und seines Halbbruders unter der Fuchtel einer Menscheit, die die Ideale der 60er Jahre seit viel zu langer Zeit mit sich schleppt.
Ein immanenter Vorwurf des Erzählers lautet, dass die Rebellierenden von damals die Familie zerstört hätten. Dass es schwierig bleibt, mit diesen und anderen Leuten auszukommen, findet auch der Sänger Houellebecq. Was er schriftlich beschreibt, illustriert er als Sänger mit einer Pose. Der Mann, wie wir ihn kennen, ist allein und mit sich selbst verheiratet. Die Ehe läuft solala. Der Mann nimmt sich eine Geliebte, deren Name sonor durch die ehelichen Wohn- und Schlafzimmer klingt, sie heißt „schlechte Laune“.
Mit einem Gesang nach dem anderen auf den schlecht gelaunten Niedergang, auf die große, jahreszeitenübergreifende Niedergeschlagenheit, skizziert Houellebecq eine Figur, bei deren Anblick sich manche sehr alte Menschen oder überforderte, linke Aktivisten ertappt fühlen könnten. Denn die gehen vor allem durch die Welt, um ihr Abfuhren zu erteilen, Armutszeugnisse auszustellen und der Gott zu sein, der nicht sechs Tage lang schafft, sondern sieben Tage lang den König der Kommentatoren gibt.
Houellebecq ist in Frankreich im Augenblick mit und ohne Musik dabei, für seine Abfuhren so berüchtigt und gehasst zu werden, wie der Schriftsteller und Drehbuchautor Jacques Prévert für seine Arbeit immer noch gross und beliebt ist. Aber nicht für Houellebecq. Über Prévert hat er deshalb einen seiner wirklich lesenswerten Aufsätze geschrieben: „Jaques Prévert ist ein Arschloch.“ – Ein Satz, der sich wie ein Refrain durch seine Texte zieht.
Houellebecq will, mit Musikbegleitung wie mit literarischen Mitteln, etwa darauf hinaus, dass zum Beispiel Pierre Bourdieu mit seinen Erhebungen zum Elend der Welt gegen Windmühlen kämpft. Kleinbürger sind die toleranteren, Angestellte die erwachseneren Menschen. Musiker stellen für Houellebecq das faszinierende Andere dar. Er zitiert zum Beispiel den Erwachsenen Neil Young, weil der für Romantik etwas übrig hat und sie sich sowohl zur Freizeitgestaltung als auch als Anfall oder als hingebungsvolle Remineszenz an versunkene Zeiten erlaubt.
Hingabe beim Singen eigener Texte wiederum ist für Houellebecq eine anachronistische Technik aus dem 19. Jahrhundert, erfunden von Leuten, die vor Hingabe ihr Wasser nicht halten können und es deswegen in Flecken, die an Liebesrückstände erinnern, auf Leinwände auftragen, also von Impressionisten. Da wendet sich Michel Houellebecq lieber den gegenwärtig wesentlichen Dingen zu und macht ein seltsames Erlebnis hörbar: Jemand braucht Gesang, um seinen eigenen Worten Glauben zu schenken.
heute, 21 Uhr, Fabrik
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