: Bahá'í – die wahre Globalisierung
■ Die Bremer Bahá'í-Gemeinde hat jetzt ihr eigenes Zentrum / Eine Begegnung mit dem Vorsitzenden des Geistigen Rates, Dr. Hans Martin Noltenius / Priester gibt es nicht, dafür das Postulat zur Abschaffung aller Vorurteile, zum Weltfrieden und zur Gleichberechtigung
Es sind die verborgenen Worte, nach denen Dr. Hans Martin Noltenius sucht. Im Schrank sind sie jedenfalls nicht. „Die können Sie auch aus dem Internet ziehen“, sagt er, „www.bahai.de“. So ist das heutzutage mit der Religion: Man kann auswählen. Und nichts anderes hat der 43-jährige Arzt getan, als er sich 1993 endgültig von der evangelischen Kirche abnabelte.
Heute ist Noltenius – schlank, Sakko, braune Wollhose, alles sehr korrekt – Vorsitzender des Geistigen Rates der Bahá'í in Bremen. Er ist Sprecher einer Glaubensgemeinschaft, der hierzulande 60 Männer und 50 Frauen angehören, darunter etliche Exil-Iraner, 20 Kinder und Jugendliche außerdem. Weltweit sollen es fünf Millionen sein. Am Freitag hat der Bremer Sprengel sein erstes eigenes Gemeindezentrum eröffnet.
Der neue Versammlungsraum befindet sich Am Wandrahm. Ein bisschen Jugendgruppenkeller, viel bürgerliches Wohnzimmer. Sofas, zartblaue Vorhänge, Sponsorengestühl, ein großer, wertvoller Teppich. Vorne steht ein trendy Tisch auf dem Nadelfilz (Ikea, Birke-Furnier), zwei brennende Kerzen obenauf. Akademiker-Aura. Die Andacht beginnt. Doch zuvor muss Noltenius erzählen, warum er sich jetzt zum Bahá'u'lláh bekennt, und nicht mehr zum Christus, mit dem er noch im Knabenchor der Liebfrauenkirche zu tun hatte.
Dort hat er nämlich das erste Mal „unbewusst Religiosität eingeatmet“, wie er das heute nennt. Bach. Aber keine Angst: Wir wollen hier nicht das gesamte Leben des Dr. Noltenius ausbreiten. Höchstens, dass er als Schülersprecher auf dem Alten Gymnasium auch mal ein bisschen links war, Medizin studierte, drei Töchter zeugte und bei all dem fest stellte, dass er in der Kirche seiner Mutter – einer Pastorentochter – nie so richtig heimisch wurde. Verkrustete Strukturen. Und dann erst die Dreieinigkeit! „Darunter hab' ich mir nie etwas vorstellen können“, sagt Noltenius.
Über eine Freundin seiner Frau Christiane fand er zur Bahá'í-Religion, die 1850 von einem Perser gegründet worden war, der sich dann selbst den Ehrentitel mit den vielen Strichelchen gab. Später fraß die Islamische Revolution etliche seiner Anhänger. Doch zurück ins postmoderne Heute: Einer von Noltenius' Brüdern ist Bhuddist geworden. Der andere ist der Leiter der Kirchenkanzlei der Bremischen Evangelischen Kirche. Und die Schwester ist evangelikal.
Die Idee, dass in allen Religionen eine göttliche Botschaft verwahrt ist, zum „ewigen Kern“ jedoch eine historisch bedingte äußere Form kommt, Glaube dynamisch fortschreitet und irgendwie doch alles Eins ist, muss dem vernunftbegabten Noltenius ziemlich imponiert haben. „Es sind die Bahá'í-Prinzipien gewesen, die mir eingeleuchtet haben“, erinnert er sich. Priester gibt es nicht. Und da sogar die evangelische Informationsstelle „Kirchen-Sekten-Religionen“ die Bahá'í mit einem „aufklärerischen Element“ in Verbindung bringt, dürfen sie sich jetzt auch kurz selbst darstellen.
Also los: Weltfrieden, Gleichberechtigung, Abschaffung aller Vorurteile, Welthilfssprache, Einheit von Menschen und Religionen – das wollen sie. Für Noltenius ist das die wahre Globalisierung. Und deswegen betet und meditiert er pflichtbewusst, spendet einen guten Teil seines Einkommens, achtet auf das 19-Monate-Bahá'í-Jahr und versucht, ein geduldigerer Mensch zu werden. Gott heißt bei ihm nach wie vor Gott. Und im Lesumer Kirchenchor ist er auch.
Die verborgenen Worte. Noltenius hat sie gefunden: „Oh Sohn des Geistes, dies ist ein erster Rat: Besitze ein reines, gütiges und strahlendes Herz, auf dass Du unvergängliche Souveränität erlangest, während von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ Amen. hase
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