: Lex Straßenkunst Ermessenssache
■ Warhol hätte seine Drucke in der Bremer City nicht als Künstler verticken dürfen / Behörde hält Rechtsauslegung für „kulant“
Andrea G. macht Kunst. Aus Tierknochen, die sie auf Schlachthöfen besorgt, schnitzt sie kleine Amulette und Figuren. Nicht im Atelier, sondern auf der Straße. Dort sitzt sie auf einem Schafsfell, ein paar fertige Schnitzereien liegen vor ihr.
Andrea G. lebt und arbeitet in einer Grauzone. Macht sie Kunst? Oder betreibt sie ein Gewerbe? Bettelt sie gar? Ist der Platz, den sie auf der Straße einnimmt „genehmigungspflichtig“? In der Auslegung der Gesetze erweist sich, wie liberal oder restriktiv eine Stadt mit dem öffentlichen Raum umgeht.
Andrea G. hat sich mit diesen Fragen bislang nicht beschäftigt. Beschäftigt ist die Süddeutsche vielmehr damit, auf ihren Reisen durch die Republik Geld zu verdienen. Viel verkauft sie nicht. „Die Hälfte von dem Geld, das ich einnehme, sind Spenden.“
Aber in Bremen verweist die Polizei sie schon am zweiten Tag von ihrem Platz in der Obernstraße. Der Grund: Ohne Sondernutzungsgenehmigung und Gewerbeschein habe Andrea G. auf der Straße nichts verloren. „So was ist mir noch nicht passiert“, sagt sie und fragt im Stadtamt nach. Dort findet man, dass Bremen in diesen Angelegenheiten „sehr kulant“ sei. Joachim Becker, stellvertretender Leiter des Stadtamts muss allerdings gleich mehrmals zur Unschärfe-Vokabel „Ermessenssache“ greifen.
Grauzone I: „Ja, wir müssen hier entscheiden, was Kunst und was Schnick-Schnack ist“, gesteht auch die Sachbearbeiterin beim Bremer Gewerbeamt. Scherenschnitten zum Beispiel wird nach einem Gerichtsurteil Kunstrang eingeräumt. Wenn aber das Serielle im Vordergrund steht, handelt es sich um Gewerbe. Nach diesem Kunstbegriff wäre auch Andy Warhol ein Gewerbetreibender. Doch sogar bei Geringeren geraten Bremer Amtspersonen in Argumentationsnöte. Im Fall Andrea G. wird allerdings entgegen den Annahmen des Polizeibeamten entschieden: Die Künstlerin G. braucht keinen Gewerbeschein.
Grauzone II: Die Sondernutzungsgenehmigung. Der Jongleur braucht sie nicht, der Straßenmusiker auch nicht, auch Porträtmaler sind in der Bremer Innenstadt „geduldet“, da sie auf der Straße niemanden behindern. Warum will die Polizei dann von Andrea G. eine Genehmigung sehen? Laut Stadtamt hängt die Genehmigung in Bremen „vom speziellen Fall ab“. Die Rechtslage sei hier „sicher nicht eindeutig“. Andrea G. wurde die Genehmigung auf dem Stadtamt aber mündlich verwehrt: Bei G. spielen wegerechtliche Probleme plötzlich eine Rolle und erlauben keine Genehmigung. Die schriftliche Ablehnung, gegen die Andrea G. gerichtlich vorgehen könnte, hätte sie 50 Mark gekostet. Geld, das sie nicht hat. Mittlerweile ist sie unterwegs in eine andere Stadt. hey
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