Wüste Szenarien für die Hauptstadt

Austrocknende Flüsse, schlechteres Trinkwasser, sterbende Vegetation: Das Szenario, das auf dem Kongress „Wasser Berlin 2000“ entworfen wird, ist alarmierend. Doch bislang wurde nichts unternommen, das jahrelang bekannte Problem zu lösen

von UWE RADA

Ein Flussbett ohne Wasser, sterbende Fische, zerstörte Ufervegetation, ungenießbares Trinkwasser: Was wie ein Horrorszenario aus den Wüstenregionen von Afrika oder dem Nahen Osten klingt, ist auch in Berlin in den Bereich des Denkbaren getreten. Glaubt man dem Potsdamer Institut für Klimafolgeforschung (PIK), wird sich die Durchschnittstemperatur im Osten Deutschlands in den kommenden 50 Jahren um 1,5 Grad erhöhen. Die Folgen: Weniger Wasser für die Bevölkerung und die Landwirtschaft sowie eine Veränderung der Vegetation.

Stehende Gewässer

Was in der Prognose des PIK noch sehr allgemein klingt, ist für die Spree längst traurige Wirklichkeit geworden. Das zumindest ist die Botschaft von Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, die sich seit Montag im ICC zum Kongress „Wasser Berlin 2000“ zusammengefunden haben. Die Fließgeschwindigkeit des Flusses, der die Lausitz und den Spreewald mit der Hauptstadt verbindet, hat stark nachgelassen.

An manchen Tagen im Juli dieses Jahres kam die Spree sogar zum Stehen. Grund genug für die Hydrologen, eindringlich vor der Verdunstung des Spreewalds, der Austrocknung der Flussauen und der Verschlammung der Bette zu warnen. Eine Studie des „Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei“ (IGB) hat sogar ergeben, dass für den Fall, dass sich die Spree nicht mehr selbst regulieren könne, auch die Wasserqualität in Berlin bedroht sei.

Seen im Tagebau

Neu ist das Problem nicht. Während die Spree zu DDR-Zeiten infolge des Braunkohlebergbaus in der Lausitz und der damit zusammenhängenden Absenkung des Grundwasserspiegels mehr Wasser als gewöhnlich mit sich führte, ist heute das genaue Gegenteil der Fall. Hauptursache dafür sind die stillgelegten, oft bis zu 120 Meter tiefen Tagebaugruben, die im Zuge ihrer Renaturierung zu einer „maritimen Seenlandschaft“ aufgefüllt werden sollen. Das Dilemma: Ein Auflaufen der Gruben mit Grundwasser allein ist wegen der in den umgebenden Böden auftauchenden Schwefel- und Säurevorkommen unmöglich.

Eine Versäuerung des Wassers mit Schwefelsäure wäre vorprogrammiert – keine allzu rosige Prognose für den neuen „Erholungsraum in maritimer Atmosphäre“. Als einzige Möglichkeit bleibt deshalb, Wasser aus der ohnehin nur noch spärlich fließenden Spree abzuzweigen, mit den entsprechenden Folgen für den Spreewald und die Hauptstadt.

„Dieses Problem ist seit langem bekannt“, sagt der Biologe Manfred Krauß, der sich beim BUND unter anderem gegen den Havelausbau im Zuge des Bundesverkehrswegeplans 17 engagiert. Es sei allerdings lange Zeit unterschätzt worden. Das Problem werde dadurch verschärft, „dass die Spree ein Fluss ist, der in wasserreichen Zeiten mit bis zu 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde fließt, im Sommer aber mit fünf Kubikmeter wie ein Dorfbach plätschert“. Die einzige Möglichkeit liege deshalb darin, der Spree Wasser von außen zuzuführen, etwa aus der Oder über den Oder-Spree-Kanal, der bei Eisenhüttenstadt beginnt.

Ein ähnlicher Vorschlag kam bereits vor drei Jahren von Uwe Grünewald von der Technischen Universität in Cottbus. Grünewald wollte aber nicht die Spree durch Fremdwasser anreichern, sondern die leeren Tagebaugruben, und zwar mit Wasser aus der Neiße.

Doch eine Entnahme von Wasser sowohl aus der Oder als auch der Neiße würde langwierige Verhandlungen mit Polen erfordern. Das diese bislang nicht vorangekommen sind, ist umso unverständlicher, als die TU Cottbus bereits 1997 gewarnt hatte, dass „um das Jahr 2000 die kritische Zeit der Lausitzer Wasserbilanz beginnt“.

Sterbende Fische

Während die Experten und Wasserwissenschaftler im ICC noch bis heute die Wüste an die Wand malen, hat bei den Senatsverantwortlichen und den Berliner Wasserbetrieben bereits die Zeit der Beschwichtigungen begonnen. So betont man im Hause von Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD), dass von einer Bedrohung der Wasserqualität in der Hauptstadt keine Rede sein könne. Und auch Ludwig Pawlowski von den Wasserbetrieben ist sich sicher: „Die Wasserwirtschaft in Berlin funktioniert.“ Pawlowski räumt allerdings ein, dass es in 50 Jahren zu Problemen mit bestimmten Inhaltsstoffen wie Hormonen oder Rückständen von Arzneien geben könnte, die bislang nicht aus dem Abwasser gefiltert werden können.

Biologe Manfred Krauß sieht die Probleme allerdings schon heute. „Der größte Teil des Berliner Trinkwassers kommt nicht aus dem Grundwasser, sondern ist Sickerwasser, das an den Flussufern in die Brunnen fließt“, sagt er. „Wenn dort das Wasser nicht mehr fließt, sondern steht, verschlechtert sich auch die Wasserqualität.“

Sichtbar ist das Problem aber auch sommers nach lange Trockenheit und anschließenden Regenfällen. Wegen des schwachen Zuflusses von Spree und Havel ins Berliner Gewässersystem sinkt der Sauerstoffgehalt. Die Folge: Die Fische ersticken in Massen wie zuletzt im Sommer 1999.