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Brehmes Goldener Schnatz

Im Duell der Zauberlehrlinge setzt sich Andreas Brehmes 1. FC Kaiserslautern unverdient, aber magisch überzeugend mit 2:1 gegen die Dortmunder Borussen von Matthias Sammer durch

aus DortmundULRICH HESSE-LICHTENBERGER

Auch Kinderbücher können sehr lehrreich sein. So wissen wir aus den bislang vier Erzählungen einer englischen Autorin, die auch in Deutschland alle Verkaufsrekorde gebrochen haben, dass Zauberer und Magier sich für Quidditch begeistern. Das ist ein Spiel, bei dem es gilt, Bälle ins Ziel zu treiben, bei dem aber selbst eine hoch überlegene Mannschaft jederzeit und augenblicklich verlieren kann, falls es dem Gegner gelingt, den „Goldenen Schnatz“ zu fangen. Ob Andreas Brehme, der Harry Potter des 1. FC Kaiserslautern, sich mit Quidditch auskennt, ist nicht überliefert. Ganz sicher sind ihm aber die Grundmuster bekannt. „Wir haben viele Fehler in der zweiten Halbzeit gemacht, und normalerweise werden die auch bestraft“, analysierte er den 2:1-Sieg seiner Mannschaft in Dortmund. „Aber dann kam das glückliche Tor.“

Überhaupt war es ein Spiel der „Aber dann’s“. Die Kommanditgesellschaft auf Aktienbasis, manchem noch als Borussia Dortmund ein Begriff, begann, als gelte es, Dow Jones persönlich über den Haufen zu rennen. Doch dann erzielten die flinkeren und besonneren Gäste das 1:0. Erst nachdem Heinrich den Stab in die Hand genommen und sich ins Spiel nach vorne eingeschaltet hatte, gerieten auch die Pfälzer ins Schwimmen. Es zeigte sich jedoch, dass eines der Probleme im Spiel des BVB die Tatsache ist, dass Heinrich zwar überall sein kann, aber nicht überall gleichzeitig.

Doch dann, mit Beginn der zweiten Hälfte, spielte vornehmlich Lars Ricken, als sei er urplötzlich aus einem mehrmonatigen Koma erwacht. „Ich habe in der Halbzeit gesagt, wir müssen uns frei fighten, und dann kriegen wir auch einige Chancen“, erklärte später der andere Harry Potter des Tages, Dortmunds Magier-in-der-Ausbildung Matthias Sammer. Das war eine zauberhafte Untertreibung. Erst Ricken, dann Herrlich vergaben den sicheren Ausgleich binnen eines Wimpernschlages (46.), Addos Kopfball wurde von Georg Koch aus dem Winkel geholt (56.), Herrlichs unfreiwilliger Lob geriet Zentimeter zu lang (60.).

Da griffen Harry Potter I und II noch einmal ins Geschehen ein. Die Schulfreunde Sammer und Brehme, im Sommer noch gemeinsam in den Klassenzimmern des DFB-Trainerinternats, tätigten im Abstand von wenigen Minuten zwei überraschende Einwechslungen: Der BVB versuchte es mit dem 17-jährigen Wunderkind Emmanuel Krontiris; Brehme ersetzte nach 66 Minuten den verletzten Ramzy durch Marco Reich, der wirklich nicht als Defensivkünstler bekannt ist. Zu diesem Zeitpunkt stand es 1:1 und die Begegnung schien vollends gekippt.

Aber dann, tja, dann fingen die Lauterer aus heiterem Himmel den „Goldenen Schnatz“. Dede, schon beim ersten Tor unangenehm aufgefallen, verlor als letzter Mann den Ball, und Reich schloss einen 60 Meter langen Alleingang mit dem Siegtor ab (88.). Nur damit die Lektion auch vom letzten Schüler verstanden wurde, durfte der BVB in der Schlussminute noch zwei dicke Möglichkeiten durch Addo und eben Krontiris in den Sand setzen. „Wenn man vorne die Dinger nicht reinmacht, verliert man so ein Spiel“, grummelte Heiko Herrlich anschließend. Nichts Neues, fürwahr, aber in jedem Lehrplan gilt Wiederholung als wichtiges pädagogisches Mittel.

So bleibt als Ergebnis der Prüfung zurück, dass Sammer weiterhin Zauberlehrling ist, mit Betonung auf den letzten beiden Silben. „Für mich war enttäuschend, was ich schon nach dem Spiel gegen 1860 München gesagt habe: Wenn man so einen Druck macht, muss man auch einen Punkt mitnehmen“, sagte er. Das sollte wohl heißen, sein Team hätte das Unentschieden halten sollen. Oder? „Obwohl ich meiner Mannschaft immer zu vermitteln versuche, dass wir auch kurz vor Ende noch den Siegtreffer machen können.“ Was denn nun?

Weniger kompliziert fasste Brehme das Geschehen zusammen: „Der Sieg war nicht verdient.“ Es war übrigens sein vierter in Folge. Da muss das dritte prominente Hätschelkind im Bunde der Trainerneulinge, Rudi Völler, langsam um seine Position als jedermanns Liebling bangen. Im neuen Harry-Potter-Band gibt es übrigens einen Wettkampf unter Jung-Zauberern: das „Trimagische Turnier.“

Borussia Dortmund: Lehmann - Heinrich - Wörns (89. Nijhuis), Metzelder - Evanilson, Addo, Ricken, Stevic, Dede - Herrlich, Reina (58. Krontiris)1. FC Kaiserslautern: Georg Koch - Ramzy (66. Reich) - Grammozis, Klos - Adzic (63. Komljenovic), Harry Koch, Strasser - Djorkaeff, Pettersson, Hristow (85. Lokvenc) - KloseZuschauer: 62.000Tore: 0:1 Hristow (12.), 1:1 Evanilson (63.), 1:2 Reich (88.)

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