: Deutsche Rockys
Auf den Hofer Filmtagen gab es Sex, Wettbewerb und abgelegene Sportarten, aber wenig deutsche Wirklichkeit
Das ist das Schöne an der Hofer Dialektik: Man weiß genau, was einen bei diesem Filmfest erwartet, kann aber trotzdem jedes Jahr melancholisch gewisse Abweichungen feststellen, die wiederum nur die ewige Wiederkehr des Gleichen betonen. Kaum verändert hat sich natürlich die Pendelbewegung Bratwurststand, Kino, Bratwurststand, Kino, wobei das Büdchen vor den seit zwei Jahren zum Miniplex aufgemotzten Festivalkinos inzwischen auch Öko-Burger verkauft. Immer noch exzessiv sind die schnapsgeschwängerten Zechgelage im legendären Gasthof Strauss, obwohl die Konkurrenz der großen Verleihe mit ihren Premierenpartys ziemlich deutlich zu bemerken ist. Völlig undialektisch und unerschütterlich sind in Hof eigentlich nur zwei Institutionen: Festivalchef Heinz Badewitz, wohl der einzige Mensch, der die Beatnikfrisur ohne uncool zu sein ins 21. Jahrhundert gerettet hat, und Herr Schulz, der ritterlich-anarchistische Nachtportier vom Strauss, der mit seiner elaborierten Sprache auch die banalste Auskunft zum Lyrismus macht. Zwischen diesen beiden Polen kann der deutsche Film in Hof fünf Tage lang Nabel der Welt sein, auch ohne dass die Welt das unbedingt mitbekommen muss.
Nimmt man die Hofer Filmtage nach wie vor als Barometer für das, was die Branche vom Kurzfilm übers Regiedebüt bis zum groß geförderten Abendfüller bewegt, dann befindet sich der deutsche Film gerade in einer infantilen bis postpubertären Phase. Viele speckige Babybeinchen strampeln da zeichenhaft durchs Bild, weit aufgerissene Kinderaugen starren ernst, und der Geist von Dr. Sommer schwebt über all den pädagogischen Bravo-Filmchen über Flirts, Sex, Eifersucht etc. In den Spielfilmen zum Erwachsenwerden sind als rite de passage gerade abgelegene Sportarten in Mode. Sumoringen als Schnelltherapie fürs darniederliegende Ego kam gleich zwei Mal vor – in Lenard Fritz Krawinkels „Sumo Bruno“ und Imogen Kimmels „Secret Society“. Bei Vivian Naefe („Einer geht noch“) gelangen frustrierte Provinzlerinnen übers Kegeln zu neuem Selbstbewusstsein, in Jacob Hilperts „Kleine Kreise“ führt ein Go-Kart-Rennen zur neuen warmen Männerfreundschaft zwischen Vater und Sohn.
So sympathisch diese Helden und ihre Miniteams auch sein mögen, unterm Strich zählt das Preisgeld, der Sieg, die Rocky-Story. Mannschaftsgeist ist hier vor allem Favoritentraining, das junge deutsche Filmvolk überführt den Wettbewerbsbegriff der neuen Mitte brav in filmische Metaphern. Dass ein arbeitsloses Zechenorchester wie im britischen Kino gemeinsam und unisono versucht, sich aus dem Dreck zu ziehen, liegt immer noch jenseits der hiesigen Filmvorstellungswelt.
Loser, die über sich hinauswachsen, Sex- und Beziehungsprobleme als Leitthema – insgesamt ballten sich die Filme zu erstaunlich gefälliger Unverbildlichkeit, zumal was die Deutschlandbilder dieses Festivaljahrgangs betrifft. Soviel Spaß es zum Beispiel macht, in Rudolf K. Wernickes Dokumentarfilm „Taxi“ den Anekdötchen und Privatphänomenologien deutscher Taxifahrer zuzuhören, so merkwürdig wiederum, dass kein einziger der vielen rechten Dummschwätzer dabei ist, zu denen man zumindest in Berlin regelmäßig ins Auto steigt.
Die Münchner Filmhochschulabsolventin Esther Gronenborn traut sich in „Alaska.de“ immerhin zu den Plattenbaukids an den Stadträndern Berlins. Ihr Film entstand nach dem Casting eines Videoclips und wurde aus den Geschichten der jugendlichen Darsteller aus den Vorortcliquen entwickelt. Gronenborn ist am Anfang nahe dran an der aggressiven Sprache ihrer Figuren, ihren Gesichtern, Gängen, Gesten. Mit einem Toten legt sich allerdings die Thriller-Dramaturgie über das authentische Gefühl, während die mit clipmäßigem Mut verfremdete Ästhetik dann doch über den Plattenbauhimmel hinausschießt.
Umgekehrt ist es dann doch wieder das Fernsehen, das im festgelegten Thrillermuster immer wieder verbindlich auf deutsche Zustände reagiert: Die neue, in Hof vorgestellte Polizeiruf-Folge „Gelobtes Land“ beendet ihre dramatische Schleppergeschichte jedenfalls mit einer für deutsche Beamtenverhältnisse geradezu sagenhaft utopischen Szene: Michaela May und Edgar Selge verhindern als zwei Münchner Kommissare die Abschiebung eines Afrikaners, indem sie die anderen Passagiere des Flugzeugs zum kollektiven Protest auffordern. Wenigstens in der Glotze stehen alle auf.
In „Escape to life“, Wieland Specks und Andrea Weiss’ Dokumentarfilm über Klaus und Erika Mann konnte man sich dann vorführen lassen, dass es irgendwann in Deutschland schon mal Leute gab, die sich auch ohne Kampagnenkultur couragiert verhielten. In einem Raddatz-Interview sitzt Erika Mann Ende der 60er hinter dicken Schwaden von Zigarettenrauch und erzählt von Exil und Widerstand mit einem Understatement, als wär’s ein Einkaufsbummel gewesen. Ohnehin waren die Mann-Geschwister die schillernden Kinofiguren dieser Filmtage. 1931 fuhren die beiden übrigens durch Hof und stiegen im Hotel Strauss ab. Am Morgen notierte Klaus Mann ins Tagebuch: „Auch sonst komische Träume von einer Pension voller Wahnsinniger.“ Das ist dann wohl Festivaltradition vor dem Festival.
KATJA NICODEMUS
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