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Alberne Probleme

betr.: „Aufprall der Identitäten“ von Viola Roggenkamp, taz vom 18. 10. 00

Der stilistisch durchaus kunstvolle Artikel betrübt und empört mich, weil in ihm primitivste Klischees angeblich aus empirischen Feldbeobachtungen abgeleitet werden. In Wirklichkeit projiziert Frau Roggenkamp ihre eigenen Ossi-Wessi-Vorurteile auf eine bösartige Art und Weise in ihre Opfer-Ossis.

(West-Intellektuelle sucht sich Ost-Visagistin und Ost-Maniküre als Gegenentwürfe, die durch ihren Verdienst in Hannover noch dazu mit West-Geld alimentiert werden. Rühhrend die Solidarität mit der türkischen West-Schwester! Schluchz. Auf dem Postamt erlebte ich neulich ähnliche brüderliche Wessi-Solidarität, als der deutsche Angestellte den türkisch aussehenden Kunden duzte.

Ende der 60er-Jahre, als ich in Westberlin studierte und viele Freunde in Ostberlin und anderswo in der DDR hatte, die auch nach der Wende meine Freunde geblieben sind, hatten wir solche albernen Probleme nicht. Wir haben uns als Deutsche mit etwas mehr oder weniger Glück verstanden und hatten gemeinsame Träume von Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Wir haben uns als gleich wertvolle Menschen erlebt und auf die Beendigung des Kalten Krieges gehofft.

Moral: Frau Roggenkamp sollte mit dem Aufarbeiten der Vereinigungsgeschichte sofort beginnen, und zwar bei sich!

HINRICH FISCHER, Andernach

Bewunderung ist glückliche Selbstverlorenheit, Neid unglückliche Selbstbehauptung. Sören Kierkegaard

Bisher hat jede erfolgreiche Revolution nur bewirkt, dass mehr Menschen als davor andere Menschen ausbeuten konnten. Und dieses Erlebnis mussten auch die heutigen Ostdeutschen, die vormaligen DDR-Bürger, machen.

Doch anstatt dieses Erlebnis auszuhalten und zu versuchen zu begreifen, wird – wie Viola Roggenkamp anschaulich am Beispiel der Bahnfahrt schildert – „happy und cool“ ignoriert. Ob auch verdrängt wird, muss erst noch die nächste Zukunft zeigen, es ist aber sehr wahrscheinlich.

Sehr gut gefiel mir, dass Viola Roggenkamps türkische Mitreisende Neid als ein Gefühl beschrieb, „an einem wäre etwas, was man nicht wegbekomme und was einen weniger wert mache“. Denn so gesehen ist es offensichtlich, dass alles, was man einem „Neider“ gibt, sein Unglück nicht verkleinert. Es ist nicht Zuwenig, sondern ein Zuviel.

Gefehlt hat mir eine explizite Schilderung, was das Beneiden beim „Beneideten“ bewirkt. Unsicherheit? Wunsch nach Distanz? Ablehnung?

Ob irgendwann in Deutschland die verschiedenen Identitäten miteinander ins Gespräch kommen? Mit unterschiedlichen Akzenten: sächsisch, türkisch, berlinerisch, hamburgerisch, schwäbisch? Wie einfach – und schön – könnte die Welt sein, wenn Vielfalt nicht Angst, sondern Neugier hervorrufen würde ...

Ich freue mich jeden Monat über die Diskussionsbeiträge von Viola Roggenkamp – und hoffe, dass sie sich nicht als „zu verfolgende Miesmacher(in)“ erleben muss, sondern als kluge und wache Beobachterin, die von ihren LeserInnen sehr geschätzt wird.

I. RENZ, Ostfildern

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