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„Der Schmökel geht um“

Seit acht Tagen läuft die Großfahndung nach dem in Strausberg geflüchteten Sexualstraftäter Frank Schmökel. Bislang ohne Erfolg. Je länger die Suche dauert, desto mehr gerät die Polizei unter Druck

von PLUTONIA PLARRE

Seit acht Tagen hält der Sexualstraftäter Frank Schmökel die Brandenburger und Berliner in Atem. Keine Nachrichtensendung vergeht, keine Zeitung erscheint, ohne dass über die Fahndung nach dem 1,92 Meter großen, athletischen Mann mit den kurzen blond gefärbten Haaren berichtet wird. Bei der Polizei in Frankfurt (Oder), die für den Fall federführend zuständig ist, laufen die Drähte heiß. Über 600 Hinweise aus der Bevölkerung sind inzwischen eingegangen. Eine konkrete Spur ist noch nicht darunter. Schmökel scheint wie vom Erdboden verschluckt.

Gesichtet in Marzahn

Die meisten Hinweise kommen aus der Umgebung von Strausberg, wo der 38-Jährige am 25. Oktober bei einer Ausführung entkam. Aber auch in Berlin will man ihn schon gesehen haben. Nachdem sich eine 16-Jährige am Sonntag von dem Gesuchten verfolgt fühlte, durchkämmte die Polizei ein Wohnviertel in Marzahn. Am Dienstag schlug einTaxifahrer Alarm, der den Entflohenen in einer Kleingartenkolonie in Hohenschönhausen abgesetzt haben wollte. Auch diese Suche verlief ergebnislos. „Die Leute wissen, der Schmökel geht um“, sagt der Polizeisprecher von Frankfurt (Oder), Dieter Schulze. Bei so manchem Hinweis sei die Fantasie mit den Menschen durchgegangen. Der Grund sei schlichte Panik. „Die Menschen haben Angst, dass Schmökel wieder zuschlägt.“

Gestern hat das Innenministerium in Potsdam die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung von Schmökel führen, auf 50.000 Mark erhöht. Polizeihauptkommissar Detlef Lüben von der Hauptwache Strausberg begrüßt die vielen Hinweise. „Lieber ein Anruf zu viel als einer zu wenig.“ Fast stündlich gehe ein Anruf ein. „Meistens handelt sich um Tipps auf leer stehende Gebäude, wo wir noch suchen können.“ Seit einer Woche konzentriert die Polizei ihre Suche unverändert auf den Raum Strausberg, ein dünn besiedelter Landstrich mit unendlich vielen Unterschlupfmöglichkeiten. „Von Strausberg bis Müncheberg, von Prötzel bis Eberswalde, alles nur Wald“, sagt ein Einheimischer. Schmökel ist in Strausberg aufgewachsen und kennt sich in der Gegend aus. Weil er die letzten Male stets in unmittelbarer Nähe des Ausgangspunkts seiner Flucht geblieben ist, geht die Polizei auch diesmal davon aus, dass er nicht weit weg ist.

Er isst zur Not Würmer

Von Strausberg kommend, durchkämmen die Beamten das Hinterland mit Hunden. „Wir arbeiten uns von innen nach außen vor“, sagt Dieter Schwabe, Leiter der Hauptwache Strausberg. Am Morgen sind zwei Laubenkolonien und eine Müllkippe dran. Aufgrund seiner Fluchterfahrung weiß Schmökel, wie er sich durchschlagen kann. „Notfalls ernährt er sich von Schnecken und Würmern“, sagt Polizeisprecher Schulze. Der Gesuchte könne genauso gut „zusammengerollt in einem Loch im Wald“ abwarten wie in der Kanalisation hocken.

Mittags sammelt sich das Polizeiaufgebot am Ortsausgang von Prötzel. Ein an ein Mountainbike gelehnter kurzhaariger Schaulustiger erzählt, dass seine Schwester mit Schmökel in einem Stall bei Hermersdorf zusammen eine Lehre als Rinderzüchter gemacht hat. „Damals hat er sich noch an den Kälbern vergriffen.“ Schmökel sei clever. „Wenn der doof wäre, hätte der nicht seine Ärzte und Pfleger getäuscht.“

Ebenso wie die Polizei ist sich der Kurzhaarige sicher, dass der Gesuchte noch in der Gegend ist. „Der kennt die ganzen Verstecke.“ Kurz angeleint, führen vier Beamte die Hunde durch einen halbverfallenen Hammelstall. Das grasüberwucherte Terrain ist unübersichtlich. Keiner der Hunde schlägt an. „Alles sauber“, lautet die Rückmeldung. Danach bewegen sich Polizweiwagen im Konvoi in den Wald. Tiefer und tiefer geht es hinein. Vor einem ehemaligen Stützpunkt der Nationalen Volksarmee heißt es Halt machen. Haus um Haus werden die verstreuten Gebäude durchsucht. Farbe und Putz sind abgeblättert, die Fenster hängen schief in den Angeln, nur wenige Scheiben sind noch heil. Alte Matratzen, schmutzige Kleidungsstücke, eine Klobürste mitten auf dem Weg: Zeichen von menschlichem Leben gibt es genug, aber keine Anhaltspunkte dafür, dass Schmökel hier war.

Parallelen zu Zurwehme

Zeitgleich sind bis zu 15 Zielfahnder im Einsatz, rund um die Uhr. Die Spezialisten versuchen, sich in die Psyche des Gesuchten hineinzudenken. „Sie versuchen, aus den Vorlieben, Verhaltensweisen und Kontakten Schlüsse zu ziehen, um sich dann an die vermeintlichen Fersen der Person zu heften“, sagt der Psychologiedozent Adolf Gallwitz von der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen, der die Zielfahnder im Fall des Schwerverbrechers Dieter Zurwehme mitberaten hat.

Zurwehme war im Dezember 1998 aus dem offenen Vollzug in Bielefeld geflohen und erst nach knapp neunmonatiger Fahndung geschnappt worden. Auf der Flucht hatte er zwei Rentnerehepaare erstochen. Gefasst wurde er zu guter Letzt nicht von Zielfahndern, sondern – nachdem er von einem Passanten erkannt worden war – von zwei einfachen Streifenpolizisten. Zurwehme war von den Boulevardzeitungen eine ähnlich große Aufmerksamkeit geschenkt worden, wie es jetzt im Fall Schmökel geschieht. Die um sich greifende Hysterie hatte schließlich einen 62-jährigen Wanderer aus Köln das Leben gekostet, der von Polizeifahndern in einem Hotel in Thüringen erschossen wurde.

Auch Frank Schmökel, wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und eines Mordversuchs zu 14 Jahren Haft verurteilt, gilt als äußerst gefährlich. Er hatte sich in der Begleitung von zwei Pflegern und einem Sozialarbeiter befunden, als er bei der Ausführung zu seiner in Strausberg wohnenden Mutter geflüchtet war. Er hatte den Moment genutzt, als seine Bewacher vor das Haus gegangen waren, um eine Zigarette zu rauchen. Den Weg in die Freiheit hatte sich Schmökel mit einem Küchenmesser gebahnt, das er nicht nur gegen die Pfleger, sondern auch gegen seine Mutter einsetzte. Ein Pfleger wurde lebensgefährlich verletzt.

Schmökels Flucht ist die sechste aus dem Maßregelvollzug einer Brandenburger Klinik, wo er wegen seiner psychischen Störung untergebracht war. 1994 hatte Schmökel bei einer Flucht eine 14-Jährige vergewaltigt und beinahe getötet.

Dass ein Straftäter mit so einer Vorgeschichte erneut in den Genuss von Lockerungen und schlecht bewachten Ausführungen gekommen ist, hat in der Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der unter Druck geratene brandenburgische Sozialminister Alwin Ziel (SPD) hat jetzt eine Expertenkommission ins Leben gerufen. Das Gremium unter Leitung des früheren Innenministers von Nordrhein-Westfalen, Herbert Schnorr, und Hans-Ludwig Kröber, Leiter des forensischen Instituts der Freien Universität Berlin, soll das gesamte System des Maßregelvollzugs in Brandenburg auf den Prüfstand stellen.

Der größte Druck lastet indes auf der Polizei. Durch die Öffentlichkeitsfahndung und das große Medieninteresse ist die Bevölkerung aufgescheucht. Die Türen und Fenster in Raum Strausberg werden verrammelt, Kinder nicht allein auf die Straße gelassen. Noch richtet sich die Wut gegen die verantwortlichen Ärzte, Pfleger und die Landesregierung. Aber der Wind könnte sich bald drehen, weiß Polizeipsychologe Adolf Gallwitz. „Die Polizei steht unter einem unheimlichen Erfolgsdruck. Wenn sie den Täter nicht innerhalb weniger Tage fasst, wird sich der Druck gegen sie richten.“

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