piwik no script img

Kein Glaube an das Internet

Hausbesetzung in der Bernstorffstraße auf St. Pauli: Schüler und Studenten fordern selbst verwaltetes Jugendzentrum  ■ Kai von Appen

Auch im neuen Jahrtausend ist offensichtlich eine erfolgreiche Aktionsform aus den letzten zwei Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts noch aktuell, wenn es gilt, stadtentwicklungspoltische Veränderungen gegen die Blockadepolitik der Behörden durchzusetzen: Die Hausbesetzung. Am Samstag besetzten SchülerInnen und StudentInnen der „Iniative Krass“ – Ini für Politik und Kultur“ das leerstehende Gebäude in der Bernstorffstraße 131 auf St. Pauli, um ihrer Forderung nach einem selbst verwalteten Jugendzentrum Nachdruck zu verleihen. Als die Polizei mit einem Großaufgebot zur Räumung aufmarschierte, zogen die Besetzer- und ihre 50 UnterstützerInnen nach drei Stunden wieder ab. Ein Ini-Sprecher: „Wir sahen uns aufgrund des Polizeiaufgebots genötigt, das Haus zu verlassen.“

Die Gruppe hatte vergeblich die Bezirksamtschefs von Altona, Mitte Eimsbüttel sowie die für diese Region zuständige Stadtentwicklungsgesellschaft angeschrieben, um ihr Projekt „jenseits von Profitgier und Ellenbogenmetalität“ anzupreisen. Außer einer „freundlichen aber bestimmten Absage“ von Eimsbüttels Bezirksamtsleiter Jürgen Mantell habe niemand geantwortet. „Wir glauben nicht an die Heilsversprechen des Internets oder der Börse, da diese Euphorie an den wahren Lebensrealitäten der lohnabhängigen Menschen vorbeigeht“, so die Gruppe. Statt sich „die Köpfe mit Konsumterror, Talk-showqual und Geltungsdruck zu vernebeln“,solle im Treff Platz für „unkommerzielle Kultur, Musik von echten Musikern oder Theaterstücken und vieles andere mehr“ sein.

Zu diesem Zweck ist die Berns-torffstraße 131 Objekt der Begierde geworden. Das Gebäude ist Bestandteil einer Terrassenhauszeile, die 1979 platt saniert werden sollte. Das Haus gehört der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga und ist zuletzt für die Bauwagengruppe „Dosengarten“ als möglicher Ersatzwohnraum für ihre Wagen vorgesehen gewesen. Das Haus steht nun zum Verkauf an. „Mit unserer Besetzung führen wir das Gemeineigentum einem sinnvollen Zweck zu“, verkündeten die Besetzer am Samstag dann über Megaphon: „Wir wollen hier nichts Böses, sondern nur Verhandlungen mit der Stadt durchsetzen.“

Die Polizei nutzte offenkundig die Gunst der Stunde, um sich nach mehrjähriger Ruhe an der Hausbesetzerfront für den Häuserkampf im neuen Jahrtausend fit zu machen. Ein martialisches Aufgebot von mehreren hundert PolizistInnen rückte an und sperrte Straßen ab. Mit Sturmhauben maskierte Greif- und mobile Einsatzkommandos nahmen Stellung, Gerätetrupps probten schon mal mit Kettensägen den Showdown. Die Direktionschefs Dietmar Kneupper und Gerhard Weisschnur übernahmen eigens das Kommando. „Wir sind enttäuscht – es fehlen Wasserwerfer, Räumpanzer und der Hubschrauber Libelle“, frotzelten Aktivisten über die unerwartete Aufmerksamkeit, die ihnen durch die Polizei zuteil wurde.

Obwohl Weisschnurs Vermittler-Anwalt Manfred Getzmann eine „rechtsstaatliche Räumung“ mit vorherigen „drei Aufforderungen“ zusagte, wäre es nach Eingang des Strafantrages beinahe doch zur Eskalation gekommen, als Einheiten das Haus stürmen wollten. Erst auf massive Intervention von Getzmann, St.Pauli-Pastor Christian Arndt und dem Regenbogen-Abgeordneten Norbert Hackbusch kam es dann doch zum erforderlichen Prozedere, so dass die Hausbesetzung ohne Festnahmen zu Ende gegangen ist. Die Losung beim Abmarsch: „Heute ist nicht aller Tage – wir kommen wieder, keine Frage.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen